Beim Leben meiner Schwester
kann ihn nicht erreichen. Du muÃt uns zum Krankenhaus fahren, damit ich hinten bei Kate sitzen kann.«
Kates Lippen sind feucht wie Kirschen. Ich hebe sie hoch und trage sie in meinen Armen. Sie ist nur Haut und Knochen, die sich spitz unter dem Stoff ihres T-Shirts abmalen.
»Als Anna weggelaufen ist, wollte Kate mich nicht ins Zimmer lassen«, sagt meine Mutter, die neben mir her eilt. »Ich hab ihr ein biÃchen Zeit gelassen, sich zu beruhigen. Dann hab ich sie husten gehört. Ich muÃte da rein.«
Also hast du die Tür einfach eingetreten , denke ich und bin nicht mal erstaunt. Wir kommen zum Wagen, und sie öffnet die Tür, damit ich Kate hineinlegen kann. Ich fahre aus der Einfahrt und brause noch schneller als sonst durch die Stadt, dann auf den Highway Richtung Krankenhaus.
Als meine Eltern heute mit Anna am Gericht waren, haben Kate und ich zusammen Fernsehen geguckt. Sie wollte sich ihre Lieblingsserie ansehen, und ich hab gesagt, sie soll abzischen, und hab statt dessen den verschlüsselten Playboy-Sender eingeschaltet. Und während ich jetzt rote Ampeln überfahre, wünschte ich, ich hätte sie ihre bescheuerte Serie gucken lassen. Ich achte geflissentlich nicht auf die kleine weiÃe Münze ihres Gesichts im Rückspiegel. Schon komisch, daà mich so was wie jetzt noch so umhaut, wo ich doch reichlich Zeit hatte, mich dran zu gewöhnen. Aber die Frage, die nicht gestellt werden darf, pumpt mit jedem Herzschlag durch meine Adern. Ist es soweit? Ist es soweit? Ist es soweit?
Kaum haben wir vor der Notaufnahme gehalten, ist meine Mutter auch schon aus dem Wagen und drängt mich, Kate herauszuheben. Wir müssen ein Wahnsinnsbild abgeben, wie wir durch die automatischen Türen kommen, ich mit der blutenden Kate auf den Armen, und meine Mutter, die sich die erstbeste Schwester schnappt. »Sie braucht Thrombozyten«, ordnet meine Mutter an.
Sie nehmen sie mir ab, und selbst, nachdem das Team von der Notaufnahme und meine Mutter mit Kate hinter geschlossenen Vorhängen verschwunden sind, stehe ich noch ein paar Sekunden lang mit geöffneten Armen da, bis ich merke, daà ich nichts mehr zu tragen habe.
Dr. Chance, der Onkologe, den ich kenne, und Dr. Nguyen, irgendein Spezialist, den ich nicht kenne, teilen uns mit, was wir uns bereits gedacht haben: Das sind die letzten Zuckungen der Nierenerkrankung im Endstadium. Meine Mutter steht neben dem Bett, die Hand fest um Kates Venentropfständer. »Ist eine Transplantation noch möglich?« fragt sie, als hätte Anna sich keinen Anwalt genommen, als hätte das keinerlei Bedeutung.
»Kates Zustand ist ziemlich kritisch«, erwidert Dr. Chance. »Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, daà ich nicht weiÃ, ob sie eine so schwere OP überhaupt noch verkraftet. Die Chancen stehen jetzt noch schlechter.«
»Aber wenn es einen Spender gäbe«, sagt sie, »würden Sie es versuchen?«
»Moment mal.« Ich habe das Gefühl, als wäre meine Kehle gerade mit Stroh ausgelegt worden. »Käme ich in Frage?«
Dr. Chance schüttelt den Kopf. »Eine Spenderniere muà im Normalfall nicht hundertprozentig passen. Aber Ihre Schwester ist kein Normalfall.«
Als die Ãrzte weg sind, spüre ich den Blick meiner Mutter auf mir. »Jesse«, sagt sie.
»Ich wollte mich nicht als Spender anbieten. Ich wollte es, na ja, bloà wissen .« Aber innerlich brenne ich genauso heià wie in dem Moment, als das Feuer in dem Lagerhaus um sich griff. Wie konnte ich mir nur einbilden, daà ich irgendwas wert wäre, selbst jetzt noch? Wie bin ich bloà auf den Gedanken gekommen, daà ich meine Schwester retten könnte, wenn ich mich nicht mal selbst retten kann?
Kates Augen öffnen sich, und sie starrt mich geradewegs an. Sie leckt sich die Lippen â die noch blutverschmiert sind â und sieht dabei aus wie ein Vampir. Eine Untote. Schön wärâs.
Ich beuge mich vor, weil sie nicht genug Kraft hat, um die Worte durch die Luft bei mir ankommen zu lassen. Sag , haucht sie, damit unsere Mutter nicht aufschaut.
Ich antworte ebenso leise. Sag? Ich will sicher sein, daà ich es richtig verstanden habe.
Sag Anna .
Doch die Tür fliegt auf, und mein Vater füllt den Raum mit Rauch. Sein Haar, seine Kleidung und seine Haut riechen so stark danach, daà ich zur Decke schaue, weil ich damit rechne, daà jede Sekunde die
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