Beim Leben meiner Schwester
aus dem Fenster. »Mom? Fallen Busse schon mal auf Menschen?«
»Meinst du aus Bäumen oder so?«
»Nein. Ich meine ⦠umkippen.« Er macht eine drehende Bewegung mit der Hand.
»Nur wenn das Wetter richtig schlecht ist oder wenn der Fahrer zu schnell fährt.«
Er nickt, schluckt meine Erklärung, daà er in diesem Universum sicher ist. Dann: »Mom? Hast du eine Lieblingszahl?«
»EinunddreiÃig«, sage ich. Das ist der Tag des errechneten Termins. »Und du?«
»Neun. Das kann nämlich eine Zahl sein oder wie alt du bist oder eine sechs auf dem Kopf.« Er hält kurz inne, um Luft zu holen, dann: »Mom? Gibt es Scheren zum Fleischschneiden?«
»Ja, die gibtâs.« Ich biege rechts ab und fahre an einem Friedhof vorbei, nach hinten oder vorne geneigte Grabsteine wie vergilbte Zähne.
»Mom?« fragt Jesse, »kommt Kate dahin?«
Die Frage, ebenso arglos wie alle anderen, die Jesse stellt, läÃt meine Beine schwach werden. Ich halte am StraÃenrand und schalte die Warnblinkanlage ein. Dann löse ich den Sicherheitsgurt und drehe mich um. »Nein, Jess«, antworte ich ihm. »Sie bleibt bei uns.«
»Mr. und Mrs. Fitzgerald?« fragt der Produzent. »Sie nehmen bitte dort Platz.«
Wir setzen uns in die uns zugewiesenen Sessel im Fernsehstudio. Man hat uns wegen der unorthodoxen Empfängnis unseres Babys eingeladen. Irgendwie sind wir bei unserem Kampf um Kates Leben unabsichtlich zu Paradebeispielen in der Wissenschaftsdebatte geworden.
Brian nimmt meine Hand, als Nadya Carter, die Moderatorin des Nachrichtenmagazins, auf uns zukommt. »Es geht gleich los. Die Anmoderation über Kate haben wir schon im Kasten. Ich stelle Ihnen nur ein paar Fragen, und dann sind wir im Handumdrehen fertig.«
Kurz bevor wir auf Sendung gehen, wischt Brian sich noch schnell mit dem Hemdsärmel die Wangen ab. Die Maskenbildnerin, die hinter den Scheinwerfern steht, stöhnt auf. »Und wenn die sich auf den Kopf stellt«, flüstert er mir zu. »Ich hab keine Lust, landesweit mit Rouge im Gesicht gesehen zu werden.«
Die Kamera erwacht wesentlich unspektakulärer zum Leben, als ich gedacht hatte, bloà ein leises Summen, das mir an Armen und Beinen hochkribbelt.
»Mr. Fitzgerald«, sagt Nadya, »würden Sie uns bitte erzählen, warum Sie sich an einen Genetiker gewandt haben?«
Brian sieht mich an. »Unsere dreijährige Tochter ist an einer sehr aggressiven Form von Leukämie erkrankt. Ihre einzige Chance ist ein Knochenmarksspender â aber unser ältester Sohn kam genetisch nicht in Frage. Es gibt zwar eine landesweite Datenbank, aber bis der richtige Spender für Kate gefunden wird, ist sie vielleicht ⦠nicht mehr bei uns. Deshalb sind wir auf die Idee gekommen, daà ein anderes Geschwisterkind genetisch mit ihr übereinstimmen könnte.«
»Ein Geschwister«, sagt Nadya, »das es nicht gibt.«
»Noch nicht«, entgegnet Brian.
»Warum haben Sie sich an einen Genetiker gewandt?«
»Zeitnot«, sage ich unverblümt. »Wir könnten nicht ein Kind nach dem anderen bekommen, in der Hoffnung, daà irgendwann eins als Spender in Frage kommt. Der Arzt war in der Lage, mehrere Embryos zu testen, um festzustellen, ob und, wenn ja, welcher Embryo der ideale Spender für Kate wäre. Wir hatten das Glück, daà einer von vieren paÃte â und er wurde mir implantiert.«
Nadya wirft einen Blick auf ihre Unterlagen. »Sie haben Drohbriefe erhalten, nicht wahr?«
Brian nickt. »Anscheinend denken die Leute, wir hätten uns ein Designerbaby zurechtgeschneidert.«
»Stimmt das denn nicht?«
»Nein, es geht uns doch nicht darum, ein Baby mit blauen Augen zu haben, oder eins mit einem IQ von zweihundert. Zugegeben, wir haben um bestimmte Charakteristika gebeten â aber keineswegs um menschliche Eigenschaften, die gemeinhin als wünschenswert gelten. Es sind einfach nur Kates Eigenschaften. Wir wollen kein Superbaby. Wir wollen nur das Leben unserer Tochter retten.«
Ich drücke Brians Hand. Himmel, ich liebe ihn.
»Mrs. Fitzgerald, was werden Sie dieser Tochter sagen, wenn sie gröÃer ist?«
»Wenn wir Glück haben«, erwidere ich, »kann ich ihr sagen, sie soll aufhören, ihre groÃe Schwester zu ärgern.«
Am Silvesterabend setzen die Wehen ein. Die Krankenschwester, die sich um
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