Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
er solle sie herunterlassen. Sie kamen aus dem Pub, und es war nicht schwer zu erraten, warum sie so in Eile waren, nach Hause zu kommen. Als Cleo sie sah, freute sie sich, dass die beiden so offensichtlich glücklich waren, aber Ashs Timing ließ doch zu wünschen übrig.
Andererseits war es so vielleicht ganz gut.
»Guten Abend!« Ash grinste breit, als er sie sah. Er setzte Fia ab, behielt sie aber im Arm; in den letzten zwei Tagen waren sie praktisch untrennbar gewesen. Es war, als könnten sie es nicht ertragen, einander loszulassen.
»Guten Abend.« Johnny nickte und deutete ein Lächeln an. »Also gut, ich muss wieder zurück.« Er sah Cleo an, sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. »Nochmals danke.«
Sie zwang sich, den Blick von seinem Mund abzuwenden, und hörte, wie sie so munter wie eine Pfadfinderin rief: »Kein Problem, es hat mir wirklich Spaß gemacht. Gute Nacht!«
Ash drückte Fias Taille und murmelte: »Es ist noch nicht vorbei.«
Fia lächelte und flüsterte zurück: »Der nächste Teil wird noch viel besser.«
Gott, diese Frischverliebten. Es konnte einem echt übel werden …
Aus ihrem abgedunkelten Schlafzimmerfenster sah Cleo, wie Johnny über den Dorfanger nach Ravenswood zurückging. Honor Donaldson, kurvig und unwiderstehlich, lag vermutlich bereits nackt in seinem übergroßen Doppelbett.
Nicht, dass sie es je gesehen hätte, aber Cleo wettete, es war übergroß.
Von der Tür nebenan erklang Gequietsche und hilfloses Lachen. Cleo rieb sich mit den Händen über das Gesicht und wandte sich vom Fenster ab. Es machte nicht viel Spaß, sich als ungewollte, ungeliebte Anstandsdame im eigenen Hause zu fühlen.
Die vergangenen acht Tage war es bei der Arbeit turbulent zugegangen. Cleo stellte fest, dass das von Vorteil war. Der Kopf war ständig beschäftigt, und man tagträumte nicht hoffnungslos über diese letzte unbefriedigende Begegnung mit Johnny LaVenture, bevor er und Honor aus dem Dorf verschwunden waren. Nun ja, man tagträumte zumindest nicht ununterbrochen. Der Nachteil war, dass sie erschöpft war, und auch dieser Tag war wieder lang gewesen. Ein langer, laaaaaanger Tag. Traurigerweise war er noch nicht vorbei. Als sie den Grimmigen Graham anrief und sich aus dem dritten Termin herauswinden wollte, teilte er ihr in aller Deutlichkeit mit, dass sie damit kein Glück haben würde.
»Aber ich hatte heute früh schon eine Fahrt zum Flughafen Heathrow.« Sie fragte sich, ob der Mann überhaupt ein Herz hatte. »Und ich habe diese Hochzeitssache in Devon gemacht. Kann denn niemand sonst die Fahrt übernehmen?«
»Verdammt nocheins, nein, das kann sonst keiner.« Graham seufzte genervt. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass alle anderen im Einsatz sind.«
Cleo drückte den Rücken durch. Alles tat ihr weh. »Was ist mit Shelley?«
»Sie ist mit ihrem Kind beim Zahnarzt.«
Um Himmels willen, Shelley, war das wirklich nötig? Saskia war erst sechs. Ging es bei Milchzähnen nicht darum, dass sie sowieso alle ausfallen würden?
Also gut, das sollte sie vielleicht nicht als Argument anführen. Resigniert beendete Cleo den Anruf. Obwohl sie um acht Uhr morgens mit der Arbeit angefangen und bislang schon über 400 Meilen zurückgelegt hatte, würde sie jetzt eine Lady Rosemary von ihrem Haus vor den Toren von Stratford-upon-Avon abholen und sie zu ihrer Tochter nach Shepton Mallet fahren.
Weil manche Menschen einfach in keinen Zug stiegen, nicht wahr.
Cleo konnte nur spekulieren, wie Lady Rosemary sein würde. Wichtigtuerisch natürlich, mit einer abweisenden, gebieterischen Art. Sie würde sich über jedes Schlagloch in der Straße beschweren, würde zu viel Make-up tragen und so viel Parfüm, dass sich einem die Nasenlöcher verschlossen, und sie würde jedes Mal empört nach Luft schnappen, wenn sie gezwungen waren, an einem Zebrastreifen anzuhalten, denn wie konnten es Menschen in bügelfreier Kleidung und entsetzlichen Jogginganzügen wagen, die Straße zu überqueren …
Ach, es hatte ja keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Cleo schüttelte sich innerlich. Sie war müde, ihr Rücken schmerzte, und ihr Leben war scheiße. Aber he, der Termin war fest gebucht, und sie musste die Fuhre erledigen. Geschah ihr recht, dass sie unersetzlich war.
Eine Stunde später war sie fast dort. Compton Court lag im hintersten Winkel von Warwickshire und erwies sich als extrem gut versteckt. Der Akku des Navigationsgerätes war leer. Sie sollte Lady Rosemary um 20 Uhr abholen.
Weitere Kostenlose Bücher