Beinah auf den ersten Blick: Roman (German Edition)
heute?«
Georgia zuckte mit den Schultern und ließ einen Teebeutel in einen Becher gleiten. »Keine Ahnung. Ich ruhe mich einfach nur aus und schaue fern.« Sie zog die Nase kraus, als im Radio, das auf dem Fensterbrett stand, ein Neil-Diamond-Song lief. »Ist das Radio zwei?«
Sie ließ es so klingen, als stamme dieser Sender noch aus der Steinzeit. War das etwa Georgias Art, sie wissen zu lassen, dass sie von nun an einem Sender lauschen sollten, der hip und angesagt war? Abbie kam sich uralt vor und meinte ablehnend: »Nein, das ist …«
»Weißt du, wann Milchmänner mit ihrer Arbeit fertig sind?«
»Wie bitte?« War das eine Fangfrage?
»Du weißt doch, Menschen, die Milch ausfahren. Sie fangen unglaublich früh an, darum müssen sie auch früh fertig sein. Ich dachte, du weißt vielleicht, wann genau.«
»Keine Ahnung. Gegen Mittag, nehme ich an.« Georgia dachte doch sicher nicht daran, Milch auszufahren? Abbie war langsam in Eile. Sie nahm noch einen großen Bissen Toast und betrachtete ihre Haare im Spiegel. Sie mochte Neil Diamond. Wenn sie allein im Haus gewesen wäre, hätte sie mitgesungen, wäre vielleicht sogar durch die Küche getanzt. Doch wenn man einen überkritischen Teenager vor Ort hatte, veränderte sich das Leben mehr, als man dachte. Abbie kaute, schluckte, trank etwas von dem zu heißen Tee und nahm noch einen Bissen Toast.
O Gott, ich bin einfach nur ein schrecklicher Mensch, der …
»Moment mal!« Georgia hob die Hand. »Tut mir leid, kannst du ganz kurz ruhig sein?«
Also schön, das war zu viel. Jetzt durfte sie in ihrer eigenen Küche nicht einmal mehr Toast essen? Doch trotz ihrer Empörung hörte Abbie lächerlicherweise auf zu kauen. Georgia lauschte intensiv. Hatte sie gehört, wie ein Eindringling durch die Hintertür gekommen war? Wie eine Maus über den Küchenboden jagte? Ein Vogel im Garten sang? Vielleicht mochte sie die Tierwelt ja doch.
»Was ist?« Nachdem Abbie mehrere Sekunden gelauscht hatte, sagte sie: »Ich höre nichts.«
»Er.« Georgia zeigte ungläubig auf das Radiogerät auf dem Fensterbrett. »Ich weiß, er kann es nicht sein, aber … mein Gott, diese Stimme! Er klingt genauso wie der Mann, mit dem ich gestern im Pub geredet habe … wow, ist das unheimlich …«
Abbie dämmerte es. Sie hatte schon geschlafen, als Georgia und Tom nach Hause gekommen waren, und war noch nicht auf dem neuesten Stand. »Oh, du hast Ash kennengelernt?«
»Ash! Ja, ja!« Georgia gestikulierte wild in Richtung Radio. »Ist das zu glauben? Der Mann klingt genau wie er!«
Abbie begriff endlich. »Das könnte daran liegen, dass dies die Ash-Parry-Jones-Show ist.«
Georgias Teelöffel fiel klappernd auf die Arbeitstheke. »Ist nicht wahr!« Sie schaut vom Radio zu Abbie und wieder zum Radio, wo Ash gerade mit seinem Nachrichtensprecher scherzte. Ihre Augen wurden groß. »Aber … er hat zu mir gesagt, er sei Milchmann!«
»Das sagt er immer. Auch in der Show. Er tut so, als sei er ein Milchmann, der nach seiner Runde ins Studio kommt. Er wohnt Tür an Tür mit Cleo. Hör mal, ich muss jetzt los …«
»Er ist Radiomoderator! Das ist ja cool! Mein Gott, ist er denn gut?« Georgia hatte sich von dem vorhergehenden musikalischen Angriff auf ihre Ohren erholt, drehte die Lautstärke hoch und starrte verwundert auf den Radioapparat. »Okay, blöde Frage, natürlich ist er gut. Ich glaub’s nur einfach nicht. Ich hielt ihn ja schon vorher für toll, aber jetzt ist er noch toller .«
Abbie ging zur Tür. »Kommst du allein zurecht? Wir sehen uns dann später.«
»Ich komm klar«, sagte Georgia geistesabwesend. Ihre Augen funkelten, ihre Aufmerksamkeit war ganz woanders. »Das ist so cool! Es ist, als hätte ich meinen eigenen Radio-Promi!«
24.
Kapitel
Fia staunte, was sich in einem Monat alles verändern konnte. Noch vor wenigen Wochen war sie morgens um acht Uhr aufgestanden, hatte um neun im Geschäft ihrer Schwiegermutter angefangen, und wenn sie nicht gerade höflich zu Kunden sein musste, hatte sie sich geduldig den ununterbrochenen Strom an Klatsch und Tratsch und Kritik ihrer Schwiegermutter anhören müssen. Natürlich unterbrochen von regelmäßigen Lobeshymnen auf Will.
Was ziemlich langweilig gewesen war. Vivien pflegte ihre hochnäsigen Meinungen mehr oder weniger in einer Endlosschleife von sich zu geben, und sie liebte es, darauf zu warten, bis die Kunden den Laden verlassen hatten, um dann deren Frisur, Stimme oder Kleidergeschmack zu
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