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Beinssen, Jan

Titel: Beinssen, Jan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Goldfrauen
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Kommissar im Präsidium ihnen über den Mord an dem Philatelisten erzählt? Hatte er nicht ein ganz bestimmtes Gift erwähnt?
    Sina nahm das Buch aus dem Regal und schlug es auf. Im Inhaltsverzeichnis wurde sie bald fündig: ›Botulinumtoxin‹. Sie blätterte das entsprechende Kapitel nach. Rückwärts gehend und vertieft in die Lektüre, näherte sie sich ihrem Sofa. Splitternackt, wie sie war, ließ sie sich auf dem weichen Polster nie
    der. Sie kreuzte die Beine zum Schneidersitz, legte das Buch auf die Oberschenkel und las.
    ›Botolinumtoxin verhindert die präsynaptische Ausschüttung des Transmitters Acetylcholin und hemmt dadurch die Erregungsübertragung zwischen Nervenzellen und Muskeln. Die Kontraktionsfähigkeit der Muskeln wird eingeschränkt bzw. kommt zum Erliegen. Die Symptome sind Erbrechen, Auftreten von Doppelbildern, Krämpfe, schließlich Lähmung. Die Atmung setzt aus. Der Tot tritt nach wenigen Minuten durch Herzstillstand ein.‹
    Sina sah geschockt auf. Ein grausames Gift! Sie musste sich regelrecht zwingen, weiterzulesen.
    ›Botolinumtoxin ist das stärkste aller bekannten Gifte. Die tödliche Dosis durch Injektion liegt bei einem Nanogramm. 500 Gramm würden für die Auslöschung der gesamten Menschheit ausreichen.‹
    Sina schlug das Buch zu. Ihr war übel.
    Sie fühlte sich wie gerädert, als sie der Wecker am nächsten Morgen aus einem unruhigen Schlaf riss. Ihre Hand tastete nach dem Stummschalter, doch dann besann sie sich darauf, dass sie nicht wieder einschlafen durfte. Der Bankett-Kursus begann bereits um 9 Uhr. Höchste Zeit zum Aufstehen und Frischmachen!
    Mit der Straßenbahn fuhr sie bis zur Endhaltestelle am Tiergarten und ging den Rest des Weges zu Fuß. Die Akademie, umsäumt vom Lorenzer Reichswald,
    wurde von der Morgensonne angestrahlt und machte einen einladenden Eindruck. Beherzt ging Sina ins Foyer, wo bereits eine Gruppe junger Leute beisammenstand und ihr neugierig freundliche Blicke zuwarf. Es roch nach frisch aufgebrühtem Kaffee und diversen Damenparfüms.
    Der Kursleiter, ein agiler Mann von Mitte 30, den Sina spontan ›Kleiner Italiener‹ taufte, führte die Gruppe nach kurzem Begrüßungssmalltalk in den Restaurantbereich, der erwartungsgemäß als Tagungsort diente. Sina war ein wenig erstaunt, als kurz vor Beginn der Overheadprojektion ein weiterer Herr erschien und sich mit begrüßenden Worten an die Kursteilnehmer wandte: Oliver Kern, der NHA-Geschäftsführer. Sina machte sich auf ihrem Stuhl ganz klein, um nicht aufzufallen. Sie wollte, dass so wenig wie möglich von ihr Kenntnis genommen wurde, um ihren eigentlichen Auftrag nicht zu gefährden.
    Kern, der mit seinen ungelenken Bewegungen so steif wirkte, als hätte er einen Besenstil verschluckt, machte die Figur eines Oberlehrers. Sein Habitus war schulmeisterlich streng und hölzern, seine Rede trocken und langweilig. Sina war froh, als er recht bald wieder das Feld räumte. Schon im Ausgang stehend, drehte er sich jedoch noch einmal um und nickte den Kursteilnehmern zu. Sina hatte den Eindruck, als würden seine dunklen Augen einen Deut zu lange auf ihr ruhen.
    Endlich war er verschwunden, sodass der kleine
    Italiener, der sich als Herr di Lorenzo vorstellte, das Arbeitspensum darlegen und mit dem Unterricht beginnen konnte.
    Der Kurs war noch langweiliger, als Sina befürchtet hatte. Trockene Theorie über Themen, die sie nicht im Geringsten interessierten. Da half es auch nichts, dass der kleine Italiener alle naslang anzügliche Witze auf Kosten der Kursteilnehmerinnen einstreute, die er selbst wohl für charmant hielt. Glücklicherweise wurde bald der Ruf nach einer Zigarettenpause laut. Sina verließ gemeinsam mit den anderen den Saal. Sie hielt sich zunächst im Foyer auf und wartete darauf, dass der erste Schwung ihrer Mitschüler vom Toilettengang zurückkam. Erst dann ging sie selbst die Stufen in den Kellertrakt hinab.
    Der Flur war schummrig beleuchtet wie beim letzten Mal. Sina schritt den Gang langsam ab. Sie ging an den Toilettentüren vorbei bis ans Ende des schmalen Schlauchs. Vor der geschlossenen Tür des vermeintlichen Tresorraums verharrte sie einige Zeit. Nichts tat sich.
    Als sie ihre Pause nicht weiter in die Länge ziehen konnte, ohne dabei aufzufallen, machte sie kehrt und ging zurück zur Treppe. Dort legte sie eine weitere Pause ein und lauschte in die Stille. Das Treppenhaus war leer. Niemand kam mehr herunter. Weder Mitschüler noch einer der Boten wie Schmidbauer.

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