Beinssen, Jan
herausge
stellt haben. Es wurde kompliziert und gefährlich. Meine Freundin und ich haben daraufhin beschlossen, uns aus der ganzen vertrackten Angelegenheit ein für alle Mal herauszuhalten.«
»Dafür ist es zu spät.« Ehe sich Gabriele versah, hatte Diehl seine große warme Hand auf ihre gelegt. Er drückte sie sanft, aber entschieden. »Wie gesagt, Sie sind mir sympathisch. Sympathisch genug, um mir Anlass zu geben, mich näher mit Ihrer Vergangenheit zu beschäftigen.«
»So?« Gabriele schwante Böses. Sie verspürte den Impuls, ihre Hand zurückzuziehen, aber sie tat es nicht.
»Ich habe mir Akteneinsicht bei meinen Kollegen in Usedom gewähren lassen. Die Peenemünder Unterlagen waren nicht gerade umfangreich und wenig aussagekräftig. Aber für den Anfang hat es mir genügt.«
»Warum sprechen Sie plötzlich von Peenemünde?«, fragte Gabriele gequält. »Das ist lange her …«
»Weil wir in den Hinterlassenschaften von Cornelia Probst auf einige interessante Unterlagen gestoßen sind, die einem zu denken geben sollten – insbesondere Ihnen, liebe Frau Doberstein.« Mit diesen Worten entließ er ihre Hände aus seiner wohlig warmen und doch bedrohlichen Pranke und bückte sich nach seiner Aktentasche. Er holte einen Stoß Fotokopien hervor und verteilte sie auf dem Tisch.
Gabriele sah auf Dokumente, an denen ihr weder die Typografie der veralteten Schreibmaschinen
schrift gefiel noch die Stempel und Briefköpfe: ›Geheime Reichssache‹, las sie und war versucht, den Blick sofort wieder abzuwenden. Aber sie wusste, dass Diehl darauf bestehen würde, die Unterlagen mit ihr durchzugehen. Also überwand sie ihren inneren Widerstand und ließ sich auf die Inhalte der Dokumente ein – tief verhasste und verdrängte Erinnerungen wurden wachgerufen.
Diehl schwieg. Er wartete ab, bis Gabriele den Inhalt der Kopien weitgehend erfasst hatte. Erst dann sprach er aus, was Gabriele am liebsten bis an ihr Lebensende nicht mehr gehört hätte: »Frau Probst hatte aus bislang unerfindlichen Gründen Einsicht in Akten, die bis heute der Geheimhaltung unterliegen. Demnach entwickelte das Dritte Reich Atomwaffen und entsprechende Trägersysteme in Form mehrstufiger Raketen. Die Angst der Amerikaner vor einem nuklearen Angriff auf New York oder andere Städte der Ostküste war in den letzten Kriegsjahren also durchaus gerechtfertigt.« Diehl wartete eine Reaktion Gabrieles ab. »Das ist für Sie nichts Neues, oder?« Er nahm eine der Kopien zur Hand und las: »›Operation Avalon – Reichsrüstungsminister Speer und SS-Obergruppenführer Kammler planen mithilfe der sogenannten »Siegeswaffe« nach dem Tode Hitlers die Errichtung eines Vierten Reichs. Die dafür notwendige Hochtechnologie stammte aus Thüringen, ein heimlicher Nukleartest soll in Auschwitz stattgefunden haben …‹«
»Hören Sie doch bitte auf«, flehte Gabriele, die
diesem Thema nicht noch einmal Zugang zu ihrem Leben gewähren wollte.
Diehl ging darüber hinweg und schnappte sich den nächsten Bogen Papier. »Auch das ist interessant: Amerikanische Spezialeinheiten erbeuten beim Vormarsch durch das im Niedergang befindliche Reich drei einsatzbereite Atombomben, verfrachten sie in die USA und testen eine der Bomben im Juli 1945. Der Test ist so erfolgreich, dass sie ihre Strategie im noch immer tobenden Pazifischen Krieg ändern: Sie setzen die beiden verbliebenen Bomben ein – gegen Hiroshima und Nagasaki.« Diehl legte das Dokument beiseite und sah fragend auf. »Alles bloß Spinnerei? Hirngespinste? Das dachte ich anfangs auch, denn heute weiß ja jeder, dass die Amerikaner die Bombentechnik mithilfe der besten Wissenschaftler ihrer Zeit in Los Alamos selbst entwickelt haben. Aber diese Unterlagen sehen erschreckend echt aus. Die vielen Details klingen überzeugend …« Er schob Gabriele eine vergilbte Auflistung sichergestellter deutscher Ingenieurleistungen über den Tisch: »Radiogesteuerte Mehrstufenraketen, Zyklotrone, 280-Millimeter-Atomkanonen – für meinen Geschmack hört sich das sehr beängstigend an. Und wie es scheint, haben Sie und Ihre Freundin von all diesen Dingen bereits mehr gesehen, als nur Buchstaben auf Papier.«
Gabriele schloss die Augen. Sie sah bunte Blitze, in ihren Ohren pfiff es wie bei einem Tinnitus. »Ja«, sagte sie leise. »Ich fürchte, ja.«
»Dann sagen Sie mir endlich, was Sie wissen!«, forderte Diehl sie auf. Jede Milde war aus seiner Stimme gewichen. »Was haben diese alten Nazigeschichten mit
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