Beinssen, Jan
habe ich nicht mehr.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, aß sie den ersten Toast. Vom zweiten biss sie nur einmal ab. Dann legte sie ihn beiseite, denn sie spürte ein unangenehmes Ziehen in ihrem Arm. Sie schob den Ärmel ihres Morgenmantels zurück und rieb über die schmerzende Stelle. Dabei fiel ihr auf, dass die Haut dort gerötet war. Es war ein kleiner roter Punkt. Fast wie bei einem Mückenstich.
25
Gabi mochte es gar nicht, vor dem ohnehin viel zu frühen Klingeln ihres Weckers durch Telefongebimmel aus dem Schlaf gerissen zu werden. Entsprechend mies gelaunt sprang sie nach ihrem Gespräch mit Sina aus den Federn und machte sich fertig für den vor ihr liegenden Tag im Geschäft.
Sie hielt den Kaffeebecher noch in der Hand, als sie den Rollladen ihrer Ladentür nach oben sausen ließ und aufsperrte. Den Mann, der vor der Tür stand und sein Gesicht zur Hälfte unter einem breitkrempigen Hut verborgen hatte, hielt sie zunächst für einen Kunden. Als sie die Tür öffnete, um ihn einzulassen, erkannte sie seinen Bart und seine ausdrucksstarke Nase und wusste, wen sie vor sich hatte:
»Ach, Herr Diehl! Was für eine Überraschung am frühen Morgen«, sagte sie mit ehrlicher Verblüffung.
Der Kommissar reichte ihr die Hand und schenkte ihr ein warmherziges Lächeln. Das irritierte Gabriele noch mehr. Diehl legte seinen Hut ab, knöpfte seinen Mantel auf und sagte: »Ich wollte hier sein, bevor die erste Kundenwelle einrollt.«
Gabriele musste unwillkürlich schmunzeln: »Von Kundenwellen kann in einem kleinen Geschäft wie meinem nicht die Rede sein. Schön wär’s ja …«
»Frau Doberstein, Sie wissen sicherlich, dass wir
Kripoleute normalerweise immer zu zweit auftreten. Heute komme ich aber allein, weil ich im Vertrauen unter vier Augen mit Ihnen sprechen möchte. Sie sind mir sympathisch«, kam der hochgewachsene Polizist nun ohne Umschweife auf den Punkt.
Gabriele spürte, wie sich ihre Wangen röteten. Wie unangenehm! »Das ist … ähm… nett von Ihnen«, sagte sie mit belegter Stimme. »Darf ich Sie auf einen Tee oder Kaffee in mein Büro bitten? – Und darf ich fragen, worum es geht?«
»Das dürfen Sie«, sagte Diehl und folgte Gabriele ins Hinterzimmer. Beide nahmen Platz. »Ich will ganz offen sein. Die Geschichte, die Sie uns neulich im Kommissariat aufgetischt haben, habe ich Ihnen nicht eine Sekunde abgekauft.«
Gabriele wurde abermals rot. Diesmal aber nicht aus Verlegenheit, sondern weil sie sich ertappt fühlte. »Wieso denn nicht?«, fragte sie und fand selbst, dass das ziemlich naiv klang.
Diehl stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich mit dem Oberköper nach vorn. »Weil mir Ihre Antworten und Ihr Verhalten in Gestik und Mimik signalisiert hatten, dass Sie mit der Wahrheit hinterm Berg halten – aus welchen Gründen auch immer.« Er sah Gabriele sehr ernst an. »Aber hier geht es um ein Kapitalverbrechen, um Mord. In diesem Zusammenhang werden Lügen leicht zu Falschaussagen – und die sind strafbar.«
»Wollen Sie mir drohen?«, wurde Gabriele allmählich wieder forscher.
Diehl schürzte die Lippen. »Das ist gar nicht nötig. Um Sie zur Einsicht zu bringen, reicht es wahrscheinlich, Ihnen von Cornelia Probst zu berichten.« Er sah Gabriele forschend an.
Diese konnte nicht verhindern, dass ihre Augenlider nervös zu zucken begannen. »Probst? Nie gehört«, log sie wenig überzeugend.
Der Kommissar hielt seinen Blick fest auf sie gerichtet. »Botulinumtoxin«, sagte er bedeutungsschwanger. »Frau Probst ist an demselben Gift gestorben wie Werner Engelhardt.«
»Ja … und?«, fragte Gabriele, der das Herz jetzt bis zum Hals schlug.
»Sie beide wurden am Tatort gesehen. Wenige Stunden nach dem Giftanschlag auf Frau Probst hat Sie ein Zeuge ganz in der Nähe des Grundstücks beobachtet. Ein Obdachloser …«
»Oh nein«, entfuhr es Gabriele. Jetzt wurde es brenzlig für sie. Verflucht brenzlig! Sie raffte all ihre Courage zusammen. Beschwörend redete sie auf Diehl ein: »Sie müssen mir glauben, bitte, diesmal müssen Sie mir glauben: Meine Freundin und ich haben mit den Morden nichts zu tun. Ja, es ist richtig, dass wir mit beiden Opfern in Verbindung standen. Frau Probst war eine Kundin von mir, das heißt, sie war gerade dabei, eine zu werden, bevor sie unerwartet starb. Auch bei Herrn Engelhardt war unsere Verbindung von rein geschäftlicher Natur.« Sie schluckte. »Ich streite nicht ab, dass diese Geschäfte sich als reichlich ominös
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