Beiss mich - Roman
was dir vor die Augen kommt. Ach ja, das Allerwichtigste nicht zu vergessen: Du musst so ehrgeizig sein, dass du dafür töten würdest.«
Ein paar der aufgezählten Fähigkeiten waren mir keineswegs fremd – ich musste ja nur an Heiligabend und besagten Flashback denken –, doch mein Sexleben existierte bekanntlich nicht, und von übermäßigem Ehrgeiz war ich noch nie umgetrieben worden.
Unsere Gäste sprachen dem bereitgestellten Fingerfood zu, aber mehr noch den Getränken. Wir hatten jede Menge preiswerten Rotwein besorgt, und der Champagner floss in Strömen. Die meisten Leute hatten welchen mitgebracht, überwiegend exklusive Marken, Werbe- oder Weihnachtsgeschenke, zum Selberkaufen viel zu teuer, aber zum Weiterverschenken gerade recht. Und zum Austrinken natürlich.
In unserem Wohnzimmer und unserer Küche herrschte ein Gedränge wie bei Freddy an seinen berühmten Probierabenden. Unsere Schlafzimmer waren tabu; eine Regelung, die wir voriges Jahr eingeführt hatten, nachdem ich in meinem Bett ein paar Leute bei einer Orgie erwischt und hinterher wochenlang die Matratze nicht richtig trockenbekommen hatte.
Ich selbst fühlte mich merkwürdig an diesem Abend. Die Grippe, die ich vor ein paar Tagen nur vorgeschützt hatte, schien nun tatsächlich im Anmarsch zu ein. An meinen Gliedern zerrte eine ungewohnte Schwere, und mein Kopf war wie mit Watte gefüllt. Immer, wenn ich von meinem Sekt nippte, spürte ich ein Kratzen im Hals. Ich war alles andere als gut in Form, was sicher auch am Stress der letzten Tage und dem vorausgegangenen psychischen Druck wegen meines möglicherweise pathologischen Geisteszustandes lag.
Die Stimmung unter den Gästen kam zwar nur langsam auf Touren, gewann dann aber zunehmend an Schwung, als eine der Schauspielerinnen sich in der Küche auszog, um ihre frisch gelifteten Brüste einem größeren Publikum vorzuführen.
»Das Scheißsilikon wollte ich sowieso schon lange los sein, aber das Problem war, dass ich nach dem Entfernen der Einlagen das Lifting brauchte, weil nämlich sonst die Möpse total hängen.«
»Die hängen immer noch«, sagte der Kameramann mitleidlos.
»Du Wichser!«, empörte sich die Geschmähte. Sie wandte sich an mich und zeigte mir ihre wippende Brust. »Was sagst du dazu?«
Bevor ich meine Meinung äußern konnte, mischte sich die Castingfachfrau ein. »Lucie (sie sprach es französisch aus), zeig du doch mal deine Titten, hein ? Damit wir wenigstens zwischen echt und unecht vergleichen können.«
» Du hast es gerade nötig.« Die Schauspielerin stach mit dem Finger in Richtung Castingbusen. »Wer war denn vorigen Sommer im Schwarzwald bei diesem Pfuscher?«
»Bei welchem Pfuscher?«
»Tu bloß nicht so! Die ganze Welt weiß davon!«
Ich hörte dem sich entspinnenden Disput eine Weile mit mildem Interesse zu, dann bekam ich Kopfschmerzen und machte mich auf ins Wohnzimmer. Im Flur kam mir Solveig entgegen. Sie machte einen unzufriedenen Eindruck.
»Was ist los?«, fragte ich. »Es läuft doch alles bestens, oder?« Ich legte den Kopf schräg und lauschte durch die Flurwand nach nebenan. Beethoven in voller Lautstärke. Frau Herberich feierte anscheinend auf ihre Art Silvester. »Wir sollten vielleicht die Musik ein bisschen lauter drehen«, schlug ich vor. »Dann kommt der Radau von nebenan nicht so durch.«
Solveig nickte geistesabwesend. »Hat jemand für mich angerufen? Vorhin ging doch mal das Telefon.«
»Das war mein Bruder. Er hat gefragt, ob ich meine Einladung letzte Woche ernst gemeint habe. Ihm fällt die Decke auf den Kopf. Wahrscheinlich kommt er nachher noch vorbei.«
»Sonst hat niemand angerufen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Sag mal, du bist so rot im Gesicht. Ist dir nicht gut?«
»Ich habe Kopfweh.«
»Trink nicht so viel.«
»Okay«, sagte ich und trank mein Glas leer.
Solveig wich dem Regisseur aus, der an ihr vorbeigetänzelt kam, um aufs Klo zu gehen. Im Vorbeigehen klopfte er mir auf den Hintern. »Tolles Kleid.«
Meine rüde Erwiderung wurde vom Zuknallen der Toilettentür übertönt.
Solveig blieb seufzend vor dem Dielenspiegel stehen und zupfte an ihrer Mantille. Sie hatte ihr dunkles Haar zu einer klassischen Hochsteckfrisur arrangiert, die sie mit den beiden Kämmen geschmückt hatte. Die Mantille fiel wie ein Rußschleier über ihren Rücken und eine Schulter. Mit feuerrotem Lippenstift hatte sie sich einen perfekten Herzmund gemalt, und ihre Augen waren mit Khol umrandet. Sie sah dramatisch gut aus
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