Beiss mich - Roman
freudig überrascht. »Echt? Ich steh auf lesbische Weiber.«
Zum Glück kam der Kameramann vorbei und verwickelte den Regisseur in eine Fachsimpelei über Innendrehs, was mich vor weiteren handgreiflichen Komplimenten bewahrte und mir Gelegenheit verschaffte, in meiner Handtasche, die auf dem Schränkchen vor dem Dielenspiegel lag, nach einem Aspirin zu stöbern. Hatte ich nicht neulich erst eine Packung gekauft? Mein Kopf, vorhin noch voller Zement, war auf einmal gähnend leer. Ich konnte mich nicht erinnern. An rein gar nichts. Was taten all die Leute hier? Ach ja, richtig, wir gaben eine Silvesterparty. Zu dumm.
Aus dem Wohnzimmer und der Küche tönte Stimmengewirr, überlagert von der Musik, die jemand in unserem Wohnzimmer aufgelegt hatte. Frau Herberichs Beethoven war irgendwo im Hintergrund auch noch zu hören, doch nicht mehr so, dass es unangenehm war. Wenn es hart auf hart ging, konnte ihr ausgeleiertes Nachkriegsmodell mit unserem Subwoofer nicht mithalten.
Jemand hatte die Lautstärke an unserer Anlage ein paar Takte aufgedreht, und die Klänge von einem alten Joe-Cocker-Song erfüllten die Wohnung, When The Night Comes .
Ich schwankte und hielt mich am Dielenschränkchen fest. Jetzt war definitiv für mich Feierabend. Ich schloss die Augen, lauschte Joes gefühlvoller Krächzstimme und versuchte mich zu erinnern, wann ich mich das letzte Mal so sterbenselend gefühlt hatte.
Die dann eintretende Wende kam gänzlich unerwartet. Sie war schockierend wie kaum etwas davor in meinem Leben und von so schicksalsträchtiger Bedeutung wie alle wahrhaft großen Ereignisse, bei denen die Grenzen zwischen Zufall und Bestimmung, zwischen Traum und Realität verschwimmen. Es war eines jener Ereignisse, bei denen der Mensch gewaltsam über eine unsichtbare Demarkationslinie gestoßen wird, ohne die Möglichkeit der Umkehr, nur mit der Wahl, sich zu behaupten oder unterzugehen.
Plötzlich traf mich ein Luftzug, und ich machte die Augen wieder auf. Ich schaute in den Spiegel und sah meinen schlimmsten Albtraum hinter mir in der offenen Wohnungstür stehen.
»Guten Abend«, sagte Martin Münchhausen.
*
In meinen Ohren brauste das Blut, und am Rande meines Gesichtsfeldes breitete sich schlagartig ein schwarzer Saum aus, gerade so, als würde ich gleich in Ohnmacht fallen. Er! Hier!
»Ich bin eingeladen«, sagte der Überraschungsgast.
Mir war auf der Stelle klar, dass er Solveigs neuer Schwarm sein musste – der Weinhändler, den sie bei Freddy kennengelernt hatte. Auch das noch! Sie hatte sich in den Vampir verknallt!
Ich handelte planlos, rein instinktiv. Ohne Rücksicht auf meine Gliederschwere sprang ich wie ein geölter Blitz los und schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Der Knall, mit dem sie ins Schloss donnerte, war ohrenbetäubend. Solveig kam aus der Küche. »Was ist los?«
Ich lehnte mich keuchend mit dem Rücken gegen die Tür. »Alles paletti.«
Es klopfte an der Wohnungstür.
»Da draußen ist doch jemand«, sagte Solveig.
»Ach was, das ist bloß … der Wind.« Ich lachte affektiert.
Es klopfte erneut, und Solveig schubste mich von der Tür weg und riss sie auf. Sie sah das Monster im Türrahmen stehen, und auf ihrem Gesicht ging die Sonne auf.
»Sie sind doch noch gekommen!« Sie war vor Entzücken so außer sich, dass sie nicht mal daran dachte, mich mit vorwurfsvollen Blicken zu durchlöchern, was schon einiges heißen wollte.
Martin drückte ihr die Hand. »Ich hoffe, ich bin nicht zu spät dran.«
Er trug tatsächlich ein schwarzes Cape und darüber einen weißen Seidenschal! Er hatte sich mit einer solchen Penetranz wie Graf Dracula zurechtgemacht, dass es schon fast lächerlich wirkte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er unterm Arm einen zusammengeklappten Zylinder mit sich herumschleppte! Doch dort hatte er schon den Kasten mit der Weinflasche verstaut, den er Solveig mit einer beiläufigen Geste überreichte. Sie klappte das Ding mit einem kleinen, entsetzten Keuchen auf, und als ich den roten Samt hervorschimmern sah, hatte ich eine ungefähre Vorstellung, worum es sich bei diesem Mitbringsel handelte. Jedenfalls nicht um ein Werbepräsent zum Weiterschenken. Eher um ein unbezahlbares flüssiges Fossil aus dem letzten Jahrhundert.
»Oh! Nein! Nicht doch!«, stieß Solveig atemlos hervor. »Das ist doch … Das kann ich auf gar keinen Fall … Nicht diesen Wein …«
»Ich bestehe darauf«, sagte Martin galant. »Ich hoffe doch sehr, Sie wollen mich nicht beleidigen,
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