Beiss mich - Roman
indem Sie mich auffordern, die Flasche wieder mitzunehmen.«
»Nein … ich meine, vielen, vielen Dank … Ich weiß gar nicht …« Solveig verstummte überwältigt und betrachtete ehrfürchtig den Wein, den sie wahrscheinlich zeitlebens niemals entkorken würde.
Mir klopfte die ganze Zeit das Herz bis zum Hals. Ich presste beide Fäuste in den Ausschnitt meines Kleides, in der Hoffnung, so meinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen, doch es wollte mir nicht gelingen. Ich schwankte von einem Fuß auf den anderen und war sicher, gleich umzusinken.
»Darf ich Ihnen meine Freundin vorstellen? Das ist Lucia von Stratmann. Luzie, das ist Martin Münchhausen.«
»Wie der Lügenbaron«, sagte ich. Meine Stimme klang heiser, und ich merkte, wie mir das Sprechen wehtat.
»Genau wie der«, antwortete er mit seiner samtig-dunklen Stimme. Irgendwo in meinem Inneren zuckte und flatterte ein winziger aufgeregter Vogel herum.
Ich konnte Martin nur anstarren. In seinem pechschwarzen Haar glitzerten ein paar angetaute Schneeflocken wie Kristalle, und seine Augen funkelten mutwillig. Die sinnlichen Lippen hatte er zu einem spöttischen Lächeln geschürzt, und ich merkte zu meinem tiefen Entsetzen, dass sich dabei neben dem linken Mundwinkel ein schelmisches Grübchen bildete. Grübchen bei Männern hatten mich schon von jeher schwach gemacht, doch der Anblick eines Grübchens bei diesem speziellen Mann ließ mir fast die Sinne schwinden.
Er schien meine Gefühle zu erahnen, denn er lächelte breiter, breit genug, dass ich seine Eckzähne sah. In einer Aufwallung von Panik wollte ich die Augen zukneifen, doch dann riss ich sie todesmutig wieder auf und schaute genau hin. Sie sahen wie ganz normale Eckzähne aus. Nicht spitzer als üblich und auch sonst nicht ungewöhnlich.
Ich schluckte und versuchte, den stechenden Schmerz an meinen Mandeln zu ignorieren. Was besagte es schon, dass seine Zähne heute Abend zufällig normal aussahen? Konnten Vampire nicht ganz zwanglos ihre äußere Erscheinung den jeweils erforderlichen Gegebenheiten anpassen, ohne sich dabei sonderlich anstrengen zu müssen? Vielleicht hatte er sich ja auch bei Rainer ein paar passende Kronen machen lassen. Rainer verstand sich wie kein anderer darauf, Kronen so zu stylen, dass sie von echten Zähnen nicht zu unterscheiden waren!
Er kam auf mich zu, und ich wich einen Schritt zurück. Dann prallte ich mit dem Hintern gegen die Wand, und er stand vor mir.
»Sehr erfreut.« Er ergriff meine schlaff herabhängende Hand, bevor ich sie hinterm Rücken verstecken konnte.
Ich überwand mich und erwiderte seinen Händedruck, wobei ich sondierte, wie hoch, respektive wie niedrig wohl seine Körpertemperatur sein mochte. Waren Vampire nicht von jeher eiskalt, innen wie außen und überhaupt?
Doch seine Hand war warm, nicht kalt. Jedenfalls war sie nicht kälter als meine, und ich war kein Vampir. Ich registrierte es im Bruchteil eines Augenblicks und hielt seine Hand einen Moment länger fest, als es nötig gewesen wäre, einfach, um mich zu vergewissern. Und um sie näher anzusehen. Sie sah aus wie eine ganz gewöhnliche Männerhand. Groß, kräftig, mit feinen schwarzen Haaren auf dem Handrücken, die sich bis hinauf unter die Manschette seines First-Class-Hemdes zogen. Schwarz war auch der feine Bartschatten, der sich auf seinem Kinn zeigte. Soweit mir bekannt war, gab es bei Vampiren keinen Bartwuchs. Waren sie nicht sogar im Prinzip völlig haarlos und trugen Perücken, um nicht aufzufallen? Was auch immer man über diesen Kerl hier sagen konnte – haarlos war er nicht. Seine Haare waren echt, so viel war sicher. Und seine Zähne waren auch in Ordnung. Er fühlte sich warm an. Seine körperliche Präsenz, als er so dicht vor mir stand, war überwältigend und vermittelte den Eindruck vitaler, kraftvoller Männlichkeit. Seine Schultern waren breit, seine Brust ebenso. Und er roch gut. Sehr gut sogar. Nach Mann und nach Rasierwasser. Ich schnappte einen Hauch davon auf, würzig, edel, vermutlich unglaublich teuer und nur in Paris erhältlich. Mein Kopf schien sich in einen Ballon zu verwandeln und langsam davonzuschweben. Ich musste ernstlich krank sein.
»Dieses Kleid ist entzückend«, sagte er. »Das Rot ist genau Ihre Farbe.«
Meine Knie wurden so weich, dass ich um ein Haar hingefallen wäre, und das nicht nur wegen meiner aufziehenden Grippe. Diese Stimme! Ich überlegte benommen, ob eine Frau bloß vom Klang einer Männerstimme zum Orgasmus
Weitere Kostenlose Bücher