Beiss mich - Roman
in ihrem schwarzen neuen Kleid, ganz die geheimnisvolle Schöne. Um ihren Lippenstift und die Taille nicht aus der Fasson zu bringen, hatte sie bisher, soweit ich es mitverfolgt hatte, nicht einen Bissen zu sich genommen.
»Du solltest was essen«, empfahl ich. »Er kommt sowieso nicht mehr. Es ist schon fast halb elf.« Schon Zeit für mich, ins Bett zu gehen? Ich legte die Fingerspitzen an meine schmerzenden Schläfen und massierte sie leicht. Die Watte in meinem Kopf begann sich allmählich in Zement zu verwandeln. Ich fühlte mich krank.
In diesem Augenblick klingelte es, und Solveig sauste wie eine Rakete zum Türöffner. Doch es war nur mein Bruder, der zu den brüllenden Klängen von Beethovens Neunter durchs Treppenhaus nach oben gestapft kam. Er wirkte noch niedergeschlagener als am Heiligabend. Immerhin hatte er sich rasiert und trug einen guten Anzug. Und er roch auch nicht nach Dope oder Whiskey.
»Hallo, Luzie. Tolles Kleid. Hallo, Solveig.« Er küsste zuerst Solveig, dann mich auf die Wange, dann bewunderte er pflichtschuldigst auch Solveigs tolles Kleid. Er zog seinen Mantel aus und zückte eine angeberisch große Flasche von irgendeinem Brût de Sowieso.
Wahrscheinlich hatte er die Buddel zusammen mit der Brieftasche von der Bank zu Weihnachten bekommen, aber da dieses Gesöff auf dem freien Markt bestimmt nicht unter zweihundert kostete, musste Solveig sich eine Bemerkung über das generöse Mitbringsel abringen. »Super-Champagner. Danke.«
»Keine Ursache.«
Solveig betrachtete ihn bewundernd. »Lucas, du siehst mal wieder gut aus!«
Das war gelogen, aber Lucas fühlte sich sofort sichtlich besser. Sein albernes Grinsen sprach Bände.
Männer wollten eben belogen werden, dachte ich. Ob im Bett oder sonst wo. Sie brauchten das einfach.
Solveig lächelte meinen Bruder liebenswürdig an, ganz die perfekte Gastgeberin. Diese Rolle war ihr angeboren, und jede ihrer kleinen Gesten kam von Herzen, ein Grund mehr, warum unsere Feste bei allen so beliebt waren.
»Hast du schon gegessen?«
Lucas schüttelte den Kopf.
»Dann hast du bestimmt Hunger.«
»Ich könnte was vertragen.«
Solveig hakte ihn unter. »Komm mit in die Küche. Ich stell dich ein paar Leuten vor.«
Ich schnitt ein Gesicht und betrachtete meine Grimasse im Spiegel, dann ließ ich meine Blicke über das Kleid wandern, das mir heute Abend schon mehrfach Getätschel eingetragen hatte. In meinen Alltagssachen, egal, wie eng sie saßen, war ich nie so kurvig. Ich sah ja nicht mal nackt so aus! Wo kamen all diese Rundungen her? Mir war nach wie vor ein Rätsel, dass mein Busen und mein Hintern so prall aussehen konnten. Solveig musste wirklich ein Vermögen für das Kleid hingeblättert haben. Auch sonst brachte es alle Vorzüge an mir zur Geltung. Der rote Stoff verlieh meiner Haut den Schimmer von Perlmutt, und mein Haar, das ich heute Nacht offen trug, sah nicht wie sonst kraus, sondern wellig aus, wie helles, rieselndes Gold. Meine Augen, sonst von einem eher gewöhnlichen Blau, schimmerten geheimnisvoll dunkel. Vielleicht kam das aber auch von der Grippe, die ich allem Anschein nach ausbrütete. Das Kratzen in meinem Hals hatte an Heftigkeit zugenommen, und wenn ich mich bewegte, taten mir die Beine weh. Zeitweilig hatte ich sogar den Eindruck, dass alles vor mir verschwamm.
Es war Zeit, ins Bett zu gehen!
Der Regisseur kam von der Toilette, die Hände noch am Hosenstall. Er hatte deutlich zu viel Champagner intus. Ich selbst hatte auch schon das eine oder andere Glas getrunken, doch ich hätte schon ein paar Flaschen wegbechern müssen, bis ich enthemmt genug gewesen wäre, die Aufmerksamkeiten dieses Typen zu ertragen.
»Ein Rauschgoldengel in Rot«, sagte er und blieb hinter mir stehen. Er legte die Hände auf meine Schultern, und seine schwitzigen Finger fühlten sich unangenehm feucht auf meiner nackten Haut an. »Gott, wie schön du bist! Du könntest den Teufel selbst in Versuchung führen, Lucia.«
Er sprach meinen Namen auf die italienische Art aus, was mich nicht erstaunte. Er hatte die letzten drei Monate eine Feriensoap namens Ciao, amore mio abgedreht.
Er küsste meine Schulter und sabberte mir dabei in den Ausschnitt.
»Lucia!«, stöhnte er.
»Lass den Scheiß.«
»Du bist so schön!«
»Ich bin krank.«
» No problem, Baby . Wir machen Safer Sex.«
»Ich bin nicht auf diese Art krank. Ich krieg die Grippe.«
»Ich habe Aspirin dabei.«
»Danke, nicht nötig. Außerdem bin ich lesbisch.«
Er war
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