Beiss mich - Roman
Du kennst den Typen doch gar nicht! Wie kannst du da behaupten, ihn zu lieben?«
»Weil es nun mal so ist.« Sie machte eine dramatische Pause. »Ich will so sein wie er.«
»Haha. Guter Witz.«
Ihre Lippen wurden schmal, und sie stand auf. »Ich hätte nie gedacht, dass es mal dazu kommen würde, doch jetzt muss es heraus: Ich hasse dich.«
Ich konnte sie nur anstarren und schlucken. Die Drähte in meinem Mund drückten sich unangenehm gegen meine Lippen. »Was habe ich dir getan?«
»Das fragst du noch?«, schleuderte sie mir entgegen. »Wo du hier sitzt und alles geschafft hast, was ich für mich will? Er hat dich einmal gebissen, und er hat mich einmal gebissen. Aber nur bei dir hat es gewirkt! Du kannst den ganzen Tag schlafen! Du siehst aus wie ein Engel von Botticelli, sogar, wenn du stundenlang gepennt hast! Keine normale Frau kann so … perfekt aussehen, wenn sie aus dem Bett kommt! Und das alles ohne jedes Make-up! Dein Haar, deine Haut, deine Augen … alles leuchtet förmlich, das muss dir doch aufgefallen sein!« Und dann kam ein Punkt, der ihr anscheinend besonders am Herzen lag. »Und du musst nicht mehr essen! Ich habe so darauf gewartet, dass sich bei mir auch was tut, doch es passiert nichts! Ich bin immer noch fett! Ich habe Hunger, Hunger, Hunger! Auf ganz normales Essen, nicht auf Blut!«
»Sekunde mal.« Ich brachte es endlich auf den Punkt und sprach es offen aus. »Willst du damit etwa zum Ausdruck bringen, dass ich mich in einen Vampir verwandelt habe?«
»Bestimmt hat er bei dir mehr Blut ausgesaugt als bei mir«, überlegte sie. In ihre Augen war ein fanatischer Glanz getreten. »Wenn ich ihn nur finden würde! Dann könnte er bei mir nachholen, was noch fehlt.«
»Du hast echt ein Rad ab.«
»Es war mir noch nie etwas so ernst. Ich muss ihn finden.«
»Wozu? Wenn ich ein Vampir bin, kann ich dich genauso gut beißen. Dann musst du nie mehr essen und wirst tausend Jahre alt. Mit Idealfigur, ohne ein Gramm Fett am Körper.«
Diesen Witz hätte ich mir besser verkniffen. Solveig fuhr hoch. Sie wirkte erleuchtet. »Das ist die Lösung!«
»Das ist der größte Scheiß des Jahrhunderts.« Ich streifte mein Sweatshirt über, zog ein paar frische Baumwollsocken an und ging ins Bad, wo ich den Zustand meiner Brackets überprüfte. Vorhin war es mir so vorgekommen, als hätte sich eines der Dinger vielleicht gelockert.
Solveig war mir gefolgt. »Du könntest es tun. Wenn du nur willst.«
»Was könnte ich tun?«
»Mein Blut trinken. Es wäre für dich auch gleich eine … ähm, Übung.«
»Eine Übung in was? In Kannibalismus?«
»Hast du … ich meine, musst du nicht …?«
»Ich schätze, du willst wissen, ob ich Blut trinken muss«, sagte ich barsch. »Die Antwort lautet definitiv Nein.«
»Aber du könntest es bei mir versuchen«, meinte Solveig eifrig. »Vielleicht findest du es ja toll. Und was mich betrifft … Ich meine, selbst wenn es nichts hilft – schaden kann es doch nicht, oder?«
Ich bleckte mein verdrahtetes Gebiss und grinste sie blinkend im Spiegel an.
»Das würde ich so nicht unterstreichen wollen«, bemerkte ich freundlich. »Siehst du all dieses unheimlich scharfkantige Metall? Ich könnte nicht für deine Schlagadern garantieren. Wusstest du, dass ein Mensch in weniger als zwei Minuten verblutet, wenn man ihm die Halsschlagader aufreißt?«
Noch während ich in den Spiegel schaute, platzten zwei der Brackets von meinen Zähnen. Ich schloss rasch den Mund, doch Solveig hatte es sowieso nicht mehr gesehen. Sie hatte sich bereits abgewandt und war aus dem Bad gestürmt, nicht ohne wütend die Tür hinter sich zuzuknallen.
*
Ich schloss hinter ihr ab, dann stellte ich mich wieder vor den Spiegel und begann die längst überfällige Zwiesprache mit mir selbst.
Ich hatte es selbstverständlich schon vor der Debatte mit Solveig gewusst, nur hatte ich vermieden, mich damit auseinanderzusetzen. Mein unstillbarer Ekel vor allem Essbaren hatte nichts mit plötzlich auftretender Magersucht zu tun, genauso wenig, wie meine Empfindlichkeit gegen Tageslicht eine profane Allergie darstellte.
Und ich hatte auch nicht den wilden Hunger vergessen, der mich befallen hatte, als ich die kleine Ader am Hals meines Ex hatte pochen sehen. Ich wusste, dass dieser Trieb dem Instinkt eines Raubtiers glich, und genau dazu konnte ich werden, wenn ich es zuließ. Vorhin, als Solveig mich eingeladen hatte, sie zu beißen, hatte mein ganzer Körper zu zittern begonnen. Die dunkle
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