Beiss mich - Roman
gebissen.«
»Wann?«
»Auf der Silvesterfeier.«
»Wo? Hier in der Wohnung?« Ich hatte Mühe, meine Stimme zu beherrschen.
»Nein, unten im Hausflur. Er wollte … er hat mich geküsst, und dann … Ich habe es erst gar nicht gemerkt, doch dann tat es auf einmal ein bisschen weh, aber es war so wunderbar … Ich wollte nicht, dass er aufhört, ich wollte, dass er … dass er … aber dann hast du blöde Kuh oben im Treppenhaus rumgekreischt wie eine Wilde, er hat mich losgelassen und die Treppe hochgestarrt … Und dann war er auf einmal weg.«
Maßlose Wut brodelte in mir hoch. »Hast du blöde Kuh gesagt?«
Sie fuhr zu mir herum, das Gesicht eine einzige Anklage. »Du hast alles kaputtgemacht! Wenn du dich ihm nicht an den Hals geworfen hättest …«
»Moment mal. Wer hat sich hier wem an den Hals geworfen? Wenn sich jemand an irgendeinen Hals geworfen hat, dann doch höchstens er sich an deinen!«
»Und wie kommen dann seine Bissspuren an deinen Hals?«, schrie Solveig erbittert. »Und erzähl mir jetzt ja nicht, dass du dich nicht mit ihm getroffen hast! Hinter meinem Rücken!«
Bilder von wilder Ekstase und grenzenloser Hingabe durchzuckten mich. »Ich kann mich an nichts erinnern«, behauptete ich kühl. »Vergiss nicht, ich war todkrank. Du hast mich doch erlebt. Ich konnte ja nicht mal den kleinen Finger heben. Er muss sich noch in der Nacht in mein Zimmer geschlichen und meinen elenden Zustand ausgenutzt haben.«
Solveig durchbohrte mich mit eifersüchtigen Blicken. »Was hat er mit dir gemacht?«
Ich zuckte nicht mit der Wimper. »Woher soll ich das wissen? Ich hatte hohes Fieber. Ich weiß gar nichts mehr. Absolut überhaupt nichts. Ich nehme an, dass er mich gebissen hat. Genau wie dich.«
Sie presste die Fingerknöchel an den Mund und nagte daran wie ein kleines Mädchen. »Er ist ein Vampir, nicht?«
»Quatsch«, meinte ich wider besseres Wissen. »Die gibt’s nur im Film.«
»Aber er hat mich bis aufs Blut gebissen. Und dich auch. Dein ganzes Kopfkissen war voller Flecken! Ich musste alles frisch beziehen und dich verpflastern!«
»Und der Arzt? Hast du ihm davon erzählt? Oder ihm meine Male gezeigt?«
Das hatte sie nicht getan, weil sie selbst ähnliche Male trug und sich zu dieser Zeit im Hinblick auf den Verursacher noch einige Hoffnungen gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte sie gedacht, dass er mich nur aus Versehen gebissen hatte, sie dagegen aus aufrichtiger Zuneigung heraus. Diese Vorstellung schien sich bei ihr zu einer fixen Idee entwickelt zu haben, deshalb hätte sie vermutlich auch nicht anders reagiert, wenn sie damals schon gewusst hätte, dass er sich nicht mehr melden würde. Schlimmer noch – zu ihrem Leidwesen war er wie vom Erdboden verschluckt, als hätte er niemals existiert. Unter der Handynummer gab es keinen Teilnehmer mehr. Freddy kannte die Adresse nicht. Beim Einwohnermeldeamt existierte der Name nicht.
Solveig hatte in den letzten Tagen alle Register gezogen, jedoch ohne Erfolg. Sie hatte ihn nicht ausfindig machen können. Er war spurlos verschwunden. Es war, als hätte es einen Martin Münchhausen nie gegeben. Solveigs Stimme zitterte vor Kummer und Wut, als sie mir davon berichtete.
»Ich dachte, ich könnte das alles einfach vergessen.« Solveig ging zu meinem Schreibtisch und ließ sich schwerfällig auf den Drehsessel fallen. »Aber wie kann ich das, wenn ich sehe, wie du dich veränderst.«
Über diese Veränderungen wollte ich momentan nicht nachdenken. Noch nicht. Vielleicht später. Wenn überhaupt.
Dafür interessierte mich etwas anderes umso mehr. »Wieso bist du eigentlich so sauer auf mich?«
Sie fing an zu weinen. »Das verstehst du nicht!«
»Vielleicht sagst du es mir trotzdem.«
Sie schluchzte auf. »Ich liebe ihn so!«
»Das halt ich nicht aus.« Ich stand auf und zog meine Jeans an, die zusammengeknüllt neben dem Bett lag. »Du willst diesen Blutsauger immer noch.«
»Ach, Luzie.« Sie schaute mich mit einem hingerissenen Ausdruck an, der nichts Gutes verhieß. »Glaubst du vielleicht, dass es so einen Mann noch einmal gibt? Hast du noch nie dieses Gefühl gehabt, dem absolut und unwiderruflich Richtigen gegenüberzustehen?«
»Doch, aber ich war ganz schnell davon geheilt. Dieser Mistkerl zahlt mir übrigens immer noch keinen Cent, und dabei ist er so reich wie nie zuvor.«
Sie war nicht beeindruckt. Emphatisch hob sie die Hände. »Ich will ihn ganz und gar. Ich will ihn für immer. Für mich allein.«
»Du bist irre.
Weitere Kostenlose Bücher