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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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angenehme Regungen. Manchmal überkam mich eine flüchtige Ahnung von Dingen, die ich nicht kannte, an die ich mich aber paradoxerweise zu erinnern glaubte: nächtliche Streifzüge durch die Stadt, der Geruch eines heißen Sommertages in der Abenddämmerung, das Sich-Treiben-Lassen in Menschenmengen, ein kühner Balanceakt in eisiger Luft auf dem Grat eines Berges, eine atemlose Kletterpartie auf den Wipfel eines uralten Baumes. Keine Ahnung, woher solche Eindrücke kamen. Vielleicht zapfte ich irgendein kollektives Gedächtnis der Vampire an, falls es so etwas gab.
    Abgesehen davon war in mir nur ein Gefühl von Unausweichlichkeit. Ich hatte mich in dieses Schicksal ergeben und fand es nicht schlimm.
    Aus diesem Grund bekam ich weder einen Nervenzusammenbruch, noch hatte ich vor, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In diesem Punkt hatte ich Solveig belogen. Ich dachte gar nicht daran, unerwünschte Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ehe ich mich versah, würde ich tief unter der Erde im Bunker eines hochgeheimen Forschungszentrums der Regierung hocken, eingesperrt wie ein wildes Tier – das ich in den Augen der anderen ja auch war. Man würde mir Nadeln in die Venen und Drähte in den Kopf bohren und mich der Sonne aussetzen, nur um zu sehen, was geschah. Man würde mich zur Ader lassen, unter Strom setzen, ins Wasser werfen, vergiften, verbrennen. Man würde mich sondieren, punktieren und mir Biopsien, Endoskopien und Sonographien zuteilwerden lassen. Eventuell würde man sogar versuchen, mich zu schwängern, um herauszufinden, was mit meinen Genen los war.
    Vielleicht hatte ich auch einfach zu viele schlechte Filme gesehen, doch meine Befürchtungen erschienen mir in Anbetracht der ungeheuerlichen Tatsache, dass ich ein Vampir war, nicht besonders paranoid.
    Bereits die Tatsache, dass Solveig Bescheid wusste, machte mir zu schaffen. Nervlich instabil wie sie war, verfiel sie womöglich auf die Idee, mich vor aller Welt outen zu müssen. Ich wurde von Visionen geplagt, in denen sie einen Lynchmob anführte, der mich auf die Dachterrasse schleifte und dort pfählte und köpfte.
    Seit dem Krach mit ihr waren fünf Tage vergangen. Sie redete nicht mehr mit mir, was vermutlich daran lag, dass wir uns kaum noch sahen. Sie schlief in der Nacht, ich bei Tage. An den Abenden gingen wir uns aus dem Weg. Sie ging meistens aus, und wenn sie doch einmal zu Hause war, blieb sie in ihrem Zimmer.
    Nun, da sie Bescheid wusste, war es sinnlos, die geänderten Bedürfnisse meines Körpers verbergen zu wollen. In die Küche ging ich nur noch, um mir ein Glas Wasser zu holen. Ein paar Tage später holte ich mir das Wasser der Einfachheit halber immer nur aus dem Bad und fühlte mich fortan nicht mehr für die Reinigung der Küche verantwortlich, wodurch Solveigs Stimmung noch mehr abkühlte.
    Frühmorgens schloss ich die Tür meines Zimmers ab, sorgte für absolute Dunkelheit und schlief von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang durch. Ich wurde von allein wach, sobald die Sonne untergegangen war. Meist war es dann noch eine Weile relativ hell draußen, doch das schwindende Tageslicht konnte mir nichts mehr anhaben.
    Während ich anfangs noch recht leicht zu wecken war und auch gelegentlich von unerwarteten Geräuschen hochschreckte, wurde mein Schlaf mit jedem Tag, der verstrich, immer tiefer. Falls ich noch träumte, erinnerte ich mich hinterher nicht mehr daran. Auf Klopfen oder Rufen reagierte ich nicht mehr – ich hörte es einfach nicht.
    Solveig fand es auf recht drastische Weise heraus, wie ich später von ihr in allen Einzelheiten erfuhr. Meine Mutter hatte angerufen, um sich zu beschweren, dass ich mich nicht mehr meldete. Solveig, die der Meinung war, ein bisschen Familienstress könnte mir nicht schaden, klopfte an meiner Tür, dann rüttelte sie an der Klinke, und schließlich hämmerte sie mit beiden Fäusten gegen die Tür. Währenddessen brüllte sie ein ums andere Mal, dass ich, verdammt noch mal, endlich da rauskommen und meine Mutter zurückrufen solle, sonst werde sie die Tür aufbrechen und mich holen.
    Da ich kein Lebenszeichen von mir gab, zog sie den naheliegenden Schluss, dass ich mich umgebracht hatte. Sie borgte sich aus dem Werkzeugkeller des Hausmeisters eine Kombizange und einen Meißel und knackte das Schloss, indem sie den ganzen Beschlag herausstemmte.
    Ich lag starr im Bett, und sie hielt mich für tot. Bis sie nach einigem verschreckten Gefummel herausfand, dass ich noch Puls hatte, wenn auch

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