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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Voeller
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und dann in eine bestimmte, günstige Position bewegt. Das Ziel ist eine neutrale Bisslage und eine Entlastung des Kiefergelenks.« Er erläuterte mir alles an Schaubildern und Modellen, und ich bekam einen Eindruck davon, was mit mir passieren sollte.
    »Und es tut wirklich nicht weh?«
    »Am Anfang vielleicht. Die ersten paar Tage ist es unangenehm. Danach ist es auszuhalten.« Er zeigte auf seine Zähne und lachte leicht albern. »Ich spreche aus Erfahrung.«
    Doktor Schreiner eilte zum nächsten Patienten, und eine Assistentin geleitete mich in die Fotoecke, um Aufnahmen für die Vorher-Nachher-Dokumentation anzufertigen. Ich saß dicht neben dem Fenster und spürte das einfallende Licht. Es brannte auf meinen Handrücken und schien Löcher in meine ungeschützte Gesichtshaut zu sengen. Nervös rieb ich mir die Wangen.
    »Sind wir jetzt fertig?«
    »Noch eine Frontalaufnahme mit Spiegel.«
    Ähnlich wie die Patientin, die ich vorhin gesehen hatte, schob ich mir einen Spiegel in den Mund.
    »Ist Ihnen nicht gut?«
    »Kreislauf«, behauptete ich schwach, dann riss ich den Mund auf und lauschte dem Knacken meiner Gelenke und dem Klicken der Kamera.
    »Mit den Fotos sind wir durch.«
    »Was kommt als Nächstes?«
    »Nur noch die Abdrücke. Dazu müssten wir rüber ins Labor.«
    Das Labor war zum Glück ein Raum ohne Fenster.
    Für den Termin zum Einsetzen der Apparatur zwei Tage später rieb ich mich dick mit Sunblocker ein und achtete darauf, nicht zu nah beim Fenster zu sitzen. Es ging gerade noch gut, doch die dreieinhalb Stunden auf der Behandlungsliege sollten trotzdem Folgen zeigen. Am Abend des betreffenden Tages hatte ich nicht nur zwei Aufbauten, zwei Drahtbögen, vier scharfkantige Metallbänder und vierundzwanzig kratzende Brackets im Mund, sondern auch einen handfesten Sonnenbrand im Gesicht.
    *
    In den folgenden Tagen gewann ich mehr und mehr den Eindruck, dass Solveig mich belauerte. Sie stellte sich nachts den Wecker, nur um sich zu vergewissern, dass ich wieder mal wach war. Innerhalb einer Woche kam sie in der Zeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh drei Mal völlig verschlafen ins Wohnzimmer geschlichen, um mich dabei zu ertappen, wie ich fernsah. Da um diese Zeit meist auf allen Kanälen nur üble Sexschinken liefen, erwischte sie mich bei ihrem ersten nächtlichen Spionagevorstoß gerade beim Konsum eines Machwerks mit dem Titel Immer feucht und unersättlich . Meine Behauptung, dass ich diesen Film schon immer hatte sehen wollen und deshalb aufgestanden war, nahm sich mehr als dünn aus. Als sie das zweite Mal hereingeplatzt kam, lackierte ich mir gerade die Fußnägel und sah mir irgendeine alte Hollywoodschnulze an, allerdings ohne diesmal in Erklärungsnot zu geraten, denn Solveig hatte mich nur ein paar Sekunden lang angestarrt und war dann ebenso stumm wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Beim dritten Mal lief bezeichnenderweise Tanz der Vampire . Ich schaltete sofort um, als sie hereinkam.
    Tagsüber spionierte sie mir ebenfalls nach. Sie rief mich häufig aus dem Büro an oder kam früher von der Arbeit nach Hause, gerade so, als wollte sie mich kontrollieren oder bei etwas Verbotenem erwischen. Da ich regelmäßig schlief, wenn sie anrief, ließ ich die Mailbox laufen. Später behauptete ich dann, ich wäre in der Stadt gewesen und hätte wegen des Passantenlärms mein Handy nicht gehört. Doch diese Notlüge verfing nur einmal. Ein Stadtbummel ohne Einkäufe war in Ordnung, zwei waren verdächtig. Als sie das dritte Mal heimkam und mich fest schlafend in meinem Bett vorfand, stellte sie mich zur Rede. Genauer gesagt fiel sie regelrecht über mich her. Noch im Mantel platzte sie in mein Zimmer und knipste das Licht an.
    »Ich kann das nicht mehr länger aushalten.« Hoch aufgerichtet stand sie vor mir, die Hände in die Hüften gestemmt, das Gesicht weiß vor Wut. »Ich weiß ganz genau, was mit dir los ist!«
    Ich wühlte mich schlaftrunken zwischen meinen Kissen hervor und setzte mich auf.
    »Dazu brauchst du mich nicht zu wecken. Ich weiß selber, wie beschissen ich dran bin.«
    Ich konnte nur nuscheln. Meine gewohnte Sprechweise hatte sich verändert. In meinem Mund stach und brannte es. Die Metallbänder schnitten in mein Zahnfleisch, die Brackets scheuerten an meinen Wangenschleimhäuten, und die Drahtbögen, die alles zusammenhielten, fühlten sich an wie ein inwendig getragener Maulkorb. Nicht, dass das Ding keine Vorteile gehabt hätte – das Knacken hatte gleich

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