Beiss mich - Roman
Gier war sofort in mir aufgewallt, meine Nasenflügel hatten sich geweitet und den Duft ihrer Bereitschaft aufgefangen. Sie wollte, dass ich es tat. Und ich wollte es tun. Ich wollte an ihr trinken, gleichgültig, welche Folgen es hatte. Es ihr abzuschlagen hatte meiner ganzen Beherrschung bedurft, und fast wäre ich schwach geworden und hätte sie angefallen. Sie war keinen Moment zu früh hinausgelaufen. Im selben Augenblick hatte ich nämlich gespürt, wie sich meine Eckzähne verändert hatten, wie sie sich vorgeschoben hatten und länger geworden waren und dabei so spitz wie die Fänge einer Wildkatze. Gleichzeitig hatten sich meine Pupillen ins Riesenhafte vergrößert, um sich dann zu Schlitzen zusammenzuziehen – genau wie die Zähne eindeutig nicht menschlich.
Dann, binnen weniger Lidschläge, war es wieder vorbei. Der Rückbildungsprozess ging so schnell vonstatten, dass es aussah, als schmölzen die Zähne zusammen. Auch die Augen wirkten wieder völlig normal. Von den plötzlichen Veränderungen war mir nichts mehr anzumerken, bis auf die abgeplatzten Brackets, die jetzt lose an dem durchgehenden Drahtbogen baumelten und sich wie Perlen an einer Kette hin- und herschieben ließen. Der nette Doktor Schreiner hatte mir gesagt, wenn ein oder zwei von den Dingern sich lösen sollten, wäre das kein Problem, weshalb ich nicht allzu beunruhigt war. Ich würde sie mir einfach beim nächsten Termin wieder festkleben lassen.
Etwas anderes machte mir mehr Sorge. Wie lange würde ich die Blutgier noch unter Kontrolle halten können? Für mich stand außer Frage, dass ich es hier nicht mit einem so schlichten Bedürfnis wie Hunger oder Durst oder Lust auf Sex zu tun hatte, sondern mit einem rasenden, unkontrollierbaren Verlangen, das ausschließlich von den Instinkten meines veränderten Körpers diktiert wurde. Furcht beschlich mich, denn ich ahnte, dass der Tag käme, an dem dieses Tierische in mir die Oberhand gewinnen würde. Der Anfall von vorhin war weit stärker gewesen als der in Rainers Praxis. Beim nächsten Mal würde es nicht so glimpflich abgehen. Falls mich wieder jemand höflich um einen Biss bitten würde, war es mehr als fraglich, ob ich es dann noch abschlagen konnte.
Aber war das wirklich so schlimm? Wieso überlegte ich mir, wie ich es verhindern konnte, wenn es in Wahrheit doch genau das war, was ich so gern tun wollte?
Ich weiß, Sie werden das für abscheulich halten, doch die Vorstellung, einem lebendigen Menschen die Kehle aufzureißen und sein Blut zu trinken, ließ einen wohligen Schauer über meinen Rücken laufen.
Ich schaute in den Spiegel und sah einen Vampir.
*
Die Veränderungen gingen langsam, aber stetig weiter.
Meine Lichtscheu war für mich der unangenehmste Aspekt. Im Sommer, so viel war mir mittlerweile klar, würde ich bei Tag nicht mehr vor die Tür gehen können; außerdem ahnte ich, dass ich dann auch innerhalb unserer vier Wände Schwierigkeiten bekommen würde. Sowie die Sonne untergegangen war, hatte ich keine Probleme mehr. Künstliches Licht, egal, wie hell es war, machte mir nicht das Geringste aus.
Jetzt, im Winter, konnte ich mich zwar tagsüber weitgehend problemlos in der Wohnung bewegen, doch sobald die Sonne hervorkam, musste ich die Rollos herablassen.
Am Tage ins Freie zu gehen, wurde, ganz unabhängig von der Witterung, immer unangenehmer und sogar mit Mütze, hochgeschlagenem Kragen, Sonnenbrille und Sunblocker zum Wagnis.
Einmal hatte ich bei bedecktem Himmel am frühen Abend nur rasch den Müll hinausgetragen, und anschließend hatte meine rechte Hand, die ich versehentlich nicht eingerieben hatte, rote Flecken gezeigt. Zwei oder drei davon wurden zu Brandblasen, die jedoch zu meiner Erleichterung binnen weniger Stunden folgenlos verschwanden.
Überhaupt schien mein Körper starke Selbstheilungskräfte entwickelt zu haben. Ich hatte mich eines Nachts beim Enthaaren meiner Achselhöhlen mit dem Einmalrasierer geschnitten, eine ziemlich blutige Angelegenheit, wovon aber schon am nächsten Morgen nichts mehr zu sehen war.
Mein Haarwuchs, einschließlich der Körperbehaarung, schien unverändert zu sein; es sah also nicht danach aus, als sei ich im Begriff, mich in einen fellüberwucherten Werwolf zu verwandeln. Dafür wuchsen meine Finger- und Fußnägel schneller als normal. Ich musste sie täglich schneiden. Außerdem veränderte sich die Form der Nägel; sie wirkten ein wenig spitzer als sonst. Zum Glück blieb die Farbe unverändert.
Ich war
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