Beiss mich - Roman
hatten sich vor dem Kopfende des Hufeisens aufgebaut, um Oma und Opa ein Geburtstagsständchen zu bringen. Der Alleinunterhalter begleitete sie, und es war unmöglich zu sagen, was fisteliger klang, der Gesang oder das Orgelspiel.
Bei den Schlussakkorden von Am Brunnen vor dem Tore hatte ich bereits eine Flasche stilles Wasser geleert, und nach Im Frühtau zu Berge und Die Gedanken sind frei eine zweite.
Ich fand, dass es höchste Zeit sei, aufzubrechen.
14. Kapitel
I ch verabschiedete mich in aller Eile, doch anschließend wusste ich nicht, wohin. Ich fuhr eine Weile mit dem Wagen herum, den Kopf voller Sorgen. Es zog mich nach Hause in Solveigs und meine Wohnung, doch in mir lehnte sich alles dagegen auf, den Rest des Abends womöglich gemeinsam mit ihr verbringen zu müssen. Die Chancen standen zwar gut, dass sie noch gar nicht da war, doch darauf wollte ich nicht vertrauen.
Ich fuhr in die Stadt, stellte den Wagen in einem Parkhaus ab und stromerte ziellos durch die Einkaufsstraßen. Da die Geschäfte längst geschlossen hatten und auch das Wetter nicht gerade zu einem abendlichen Bummel einlud, herrschte kaum Betrieb. Nur wenige Leute eilten an mir vorbei, die Köpfe gegen den schneidenden Februarwind gesenkt. Es hatte angefangen zu graupeln; auf dem Asphalt bildete sich nach und nach eine dünne Eisschicht, die im Licht der Straßenlaternen glitzerte.
Dann merkte ich, dass ich wieder Durst bekam, und um halb eins hielt ich das Herumlaufen nicht länger aus und fuhr nach Hause.
In der Wohnung war es dunkel, als ich hineinkam, doch ich ließ mich nicht täuschen. Schon beim Aufschließen der Wohnungstür hörte ich, dass sich im Wohnzimmer etwas regte. Es war nur ein leises Rascheln, etwa so, als ob sich jemand, der auf dem Sofa saß, aufrechter hinsetzte. Und genauso war es auch. Solveig war noch wach. Sie saß im Dunkeln auf dem Sofa und hatte offensichtlich auf mich gewartet.
»Hallo«, sagte ich vorsichtig. Ich betrachtete sie, ohne Licht anzumachen, eine interessante Erfahrung, da sie mich dabei nicht sehen konnte. In ihren Zügen arbeitete es heftig, und ich konnte ihre Wut förmlich riechen.
»Hallo«, erwiderte sie. Der freundliche Tonfall ihrer Stimme stand in so eklatantem Widerspruch zu ihrer wirklichen Stimmung, dass es schon fast lachhaft war. »Die Feier hat wohl ziemlich lange gedauert. Du kommst ziemlich spät.«
»Ich war noch spazieren.«
»Bei dem Scheißwetter?«
»Ich war lange nicht an der frischen Luft.«
»Stimmt.« Sie starrte in meine Richtung, ohne mehr von mir zu erkennen als meine Silhouette. »Kannst du mich im Dunkeln sehen?«
»Nein«, log ich und knipste das Licht an. Sie hielt geblendet die Hand vor die Augen. Ich machte das Licht wieder aus. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht stören. Ich geh dann mal. Gute Nacht.«
Ich ging ins Bad, schrubbte, so gut es ging, um das Stahlgewirr in meinem Mund herum meine Zähne, trank mindestens drei Liter Wasser aus der Leitung und zog mich dann in mein Zimmer zurück. Ich hörte, wie Solveig noch eine Weile im Wohnzimmer rumorte. Dann ging sie in die Küche, wo sie sich größere Mengen Schokolade einverleibte. Der süßliche Kakaoduft, das typische Knistern der Alufolie und das Knacken beim Abbeißen waren unverkennbar. Danach wurde eine Flasche entkorkt, und ich konnte den Likör riechen. Aha, wir nahmen uns noch einen zur Brust.
Anschließend ging sie ins Bad, putzte sich die Zähne, schminkte sich ab und ging zu Bett. Ich hörte sie gähnen, und am Geräusch der Sprungfedern in ihrer Matratze erkannte ich, dass sie sich noch eine ganze Weile hin und her wälzte.
Irgendwann schlief sie dann doch ein. Das Zifferblatt meiner Armbanduhr zeigte halb drei. Ich stand vom Bett auf und fing an, mit wachsender Unruhe durch die Wohnung zu marschieren. Mein Durst nahm wieder zu. Ich konnte trinken, so viel ich wollte, er hörte einfach nicht auf. Das Wasser, das ich literweise in mich hineinschüttete, verschaffte mir nur für kurze Zeit Erleichterung. Ansonsten bewirkte die ganze Trinkerei lediglich, dass ich alle halbe Stunde zur Toilette musste.
Rastlos lief ich zwischen meinem Zimmer, dem Wohnzimmer, der Küche und dem Bad hin und her. Ich betrachtete die Möbel, unsere gemeinsame Einrichtung, all die liebevoll ausgesuchten und mit Sorgfalt arrangierten Kleinigkeiten, mit denen wir unser Nest hergerichtet und wohnlich gestaltet hatten. Mir drehte sich der Magen um, wenn ich daran dachte, das alles hinter mir lassen zu
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