Beiss mich - Roman
gegrilltes Huhn. Unschlüssig schob ich die losen Brackets auf dem inzwischen nicht minder losen Draht über meinen Zähnen hin und her. Ob ich es wagen konnte, eine kalte Dusche zu nehmen? Ich entschied mich dagegen und rieb stattdessen die Verbrennungen mit Heilsalbe ein. Dann zog ich mich vorsichtig an, wofür ich entsprechende Kleidung wählte: eine locker fallende Bluse, einen weiten Rock, dünne Baumwollsocken. Die Unterwäsche ließ ich weg. Steifbeinig ging ich in die Küche, wo Solveig in aller Seelenruhe ihr Abendbrot verzehrte. Knäckebrot ohne alles und ungesüßten Tee. Nach der Schokoladenorgie letzte Nacht war jetzt offenbar eine kleine Fastenzeit angesagt.
Ich überlegte, wie ich es angehen konnte, ihr die himmelschreiende Gefährlichkeit ihres Handelns vor Augen zu führen, doch dann sah ich ihr Gesicht und war mir mit einem Mal gar nicht so sicher, ob sie das nicht schon längst von allein wusste.
»Morgen geht’s dir bestimmt wieder besser«, meinte sie tröstend, als sie mein salbenverschmiertes Gesicht sah. »Bei dir heilt ja neuerdings alles so unheimlich schnell. Wenn wir morgen Abend zu Martin rausfahren, siehst du so aus wie immer, wetten?«
Das kann nicht wahr sein, dachte ich fassungslos.
Sie saß da, als könne sie kein Wässerchen trüben, und führte sich ein Knäckebrot nach dem anderen zu Gemüte.
»Wenn du zehn von den Dingern isst, sind das so viele Kalorien wie eine Tafel Schokolade«, sagte ich gehässig.
Der letzte Bissen blieb ihr im Hals stecken, und ich glaubte förmlich den Dampf zu sehen, den sie wütend durch die Nase schnob. Doch sie riss sich zusammen. Fürs Erste.
»Wenn du irgendein Problem mit mir hast, dann beiß mich doch«, meinte sie beiläufig.
»Aha!«, schrie ich. »Daher weht also der Wind! Du hast es immer noch nicht aufgegeben!«
Jetzt verlor sie die Beherrschung. »Nein, das habe ich nicht! Ich werde es nie aufgeben! ICH WILL, DASS DU MICH BEISST !!!«
Der Durst kam so plötzlich über mich, dass ich wie gelähmt davon war. In meinem Hals breitete sich die schon bekannte, sengend heiße Trockenheit aus, und das Knirschen der Knäckebrotkrümel zwischen Solveigs Zähnen wurde übertönt vom rauschenden Klang ihres Herzens.
»Nein«, krächzte ich, als ich meine Zähne wachsen spürte.
Ich drehte mich um und rannte hinaus, ohne Mantel, ohne Schuhe, ohne alles. Ich wollte nur weg von ihr, bevor ich meine Zähne in ihrem Hals vergrub.
Der Aufzug war da und stand offen. Ich rannte hinein, und die Tür glitt zischend zu. Dass ich einen Fehler gemacht hatte, begriff ich erst, als mich Frau Herberichs Geruch mit der Wucht einer Keule traf. Ich wollte ins Treppenhaus zurückweichen, doch die Kabine hatte sich schon mit schwachem Quietschen abwärts in Bewegung gesetzt.
Frau Herberich starrte mich an. Oder besser, die weit über meine Unterlippe herausragenden oberen Eckzähne. Sie waren diesmal so lang, dass sie sich in mein Kinn bohrten, zusammen mit einem Stück Draht.
»Gehen Sie zu ’ner Fastnachtsveranstaltung?«
»Hnghn«, machte ich hilflos.
»Kaum zu glauben, dass Sie mit solchen Hackern rumlaufen können. Ich habe mit meinen schon Probleme – und dabei brauche ich zum Einsetzen nicht mal solche komischen Drähte.« Wie zum Beweis griff sie in ihre Manteltasche und holte ihre Zahnprothese heraus, um sie sich mit einem nassen Schmatzen zwischen die Kiemen zu schieben. Sie klackte ein paarmal probeweise herum und rückte sie mit den Fingern zurecht.
Der Aufzug hielt im ersten Stock, doch als die Tür aufglitt, war niemand zu sehen. Ich hätte hier aussteigen sollen, doch ich tat es nicht.
Gott, dieser Geruch! Sie stank so bestialisch nach Fußsalbe, Vogelfutter, Mottenkugeln, feuchter Wolle und altem Schweiß, dass ich sicher war, davon zu ersticken, wenn ich zu tief einatmete, doch ganz dicht unter der Haut, da roch sie überaus köstlich. Da gab es literweise warmes, fließendes, wunderbar dickes rotes Blut …
»He, was machen Sie da?«
Ohne mein Zutun hatte mein Körper sich auf sie zubewegt. Meine Lippen zogen sich zurück wie die Lefzen einer Wildkatze. Ihr Hals war ganz nah! Ich konnte nicht anders. Eher würde ich sterben.
»Was soll das?«, keifte sie wütend. »Haben Sie was getrunken?«
Nein, aber gleich!
»Gehen Sie weg! Sie besoffene kleine Schlampe!«
Ihr Geschrei erstarb zu einem erstickten Gurgeln, als sich meine Hand auf ihren Mund legte. Gleichzeitig senkten sich meine herrlich langen, spitzen, messerscharfen
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