Beiß mich, wenn du dich traust
Abend mit auf mein Zimmer kommen würdest«, sagt Corbin und blickt mich schüchtern an. »Wir könnten dich reinschmuggeln, an den Wachen vorbei...«
Oh nein, bitte! Ich schlucke krampfhaft. Ich muss diesen Wahnsinn stoppen. Auf der Stelle. Es ist sowieso schon viel zu weit gegangen. Denn so gern ich heute Nacht zu ihm in sein Zimmer kommen würde, wäre es leider nicht aus den Gründen, die er sich erhofft. Auf keinen Fall darf ich mich noch einmal in so eine Situation bringen. Denn ich weiß genau, was geschehen wird. Ich bin nicht stark genug, um mich zu beherrschen, wenn ich ihm so nahe bin.
»Hör mal, Corbin«, stoße ich hervor. »Ich weiß, wir waren in letzter Zeit viel zusammen und es war auch wirklich schön. Ich mag dich. Sehr.
Aber ...« Ich verziehe das Gesicht. Es ist schwer, ihm das Ganze schonend beizubringen, wenn man nur die Wahrheit sagen kann. »Ich habe zu Hause einen Freund, mit dem es ziemlich ernst ist, und ich finde, wir sollten diese Grenze nicht überschreiten.«
Er macht ein langes Gesicht, ist total niederge-schmettert. Es schmerzt mich richtig körperlich, dass ich ihm durch meine Schwäche so wehgetan habe. Ich hätte ihm niemals erlauben dürfen, mich zu küssen. Ich hätte eher den Hungertod sterben sollen, als sein Blut zu saugen. »Ich weiß, ich hätte es dir früher sagen sollen«, füge ich bedrückt hinzu. »Es ist nur ... ich weiß nicht. Du bist schon toll. Und ich habe mich unheimlich wohlgefühlt mit dir. Aber ... wir können nicht...
du weißt schon, es einfach so laufen lassen ... ich meine, ich habe es schon zu weit kommen lassen.«
Es bringt mich um, all das zu sagen. Die Tränen in seinen Augen zu sehen und zu wissen, dass ich der Grund für sie bin. Denn ich mag ihn wirklich.
Sehr sogar. Und ich glaube nicht, dass es nur an seinem Blut liegt. Er ist wirklich ein guter Mensch unter seinem arroganten Äußeren. Stark, fürsorglich, klug. Ein Hauptgewinn für das richtige Mädchen. Aber ich bin nicht das richtige Mädchen. Und wenn ich ihm das jetzt nicht klarmache, werde ich ihn am Ende womöglich umbringen, wenn wir das nächste Mal zusammen sind. Und damit könnte ich nicht leben.
Er macht Anstalten aufzustehen, wobei sein Kummer allmählich der Wut weicht. Ich rappele mich ebenfalls hoch und halte ihn am Arm fest.
Aber er schüttelt mich ab. »Es tut mir leid!«, sage ich und suche verzweifelt nach einer Spur von Vergebung in seinem Gesicht. »Ich weiß, ich hätte es dir von Anfang an sagen sollen.«
Er macht eine abwehrende Geste. »Du brauchst mir nichts zu erklären«, erwidert er. »Ich hab's schon kapiert.«
»Bitte, Corbin. Ich mag dich wirklich. Ich möchte, das wir Freunde sind.«
Er sieht mich an. In seinen Augen tobt ein Krieg zwischen Hass und Liebe. Schließlich seufzt er und seine Schultern sacken herunter. »Komm her«, sagt er und winkt mich heran. »Nimm mich in den Arm, wir werden das zusammen schon hinkriegen.«
Ich werfe mich in seine Arme und drücke mich an seinen kräftigen Körper. Ich kann sein Herz spüren, das wild in seiner Brust schlägt, als er mich an sich zieht. Dann vergräbt er das Gesicht in meinen Haaren, streichelt mir über den Rücken und ...
... erstarrt.
Voller Entsetzen sehe ich, wie er rückwärts taumelt, unverkennbare Angst in seinen schönen grünen Augen. Da wird mir klar, dass er sie ge-spürt hat. Meine kleinen Flügel, die ich unter weiten Klamotten zu verbergen versucht habe.
Durcheinander, wie ich war, habe ich sie total vergessen.
Jetzt weiß er, was ich bin. Wer ich bin, Und was ich ihm angetan habe.
Langsam schüttelt er den Kopf, dann dreht er sich um und geht durch den Flur, lässt mich allein zurück mit der Frage, was er jetzt bloß tun wird.
Ich muss hier weg. Sofort.
17
Stundenlang, so scheint es mir, suche ich in der ganzen Bibliothek nach meiner Schwester.
Endlich finde ich sie - versteckt hinter Bücher-stapeln, wo sie mit irgendeinem widerlich aus-sehenden Jungen mit riesigen Pickeln im Gesicht rumknutscht. Igitt. Warum tut sie das? Ekelhaft.
»Ich muss mit dir reden«, sage ich und tippe ihr auf den Arm, als sie kurz absetzt, um Luft zu holen. Sie starrt mich verärgert an.
»Kann das nicht warten? Ich bin beschäftigt.«
Ich packe den Jungen am Hemdkragen und stoße ihn weg. »Verzieh dich.«
Er macht eine finstere Miene. Ich hebe die Faust.
Daraufhin schleicht er zwischen den Bücher-stapeln davon, wahrscheinlich, um sich eine andere gelangweilte Jägerin zu suchen, mit
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