Beiss noch einmal mit Gefuehl
jedoch nichts weiter geschah, zuckte ich mit den Schultern. Vermutlich war eines der Sturmsicherungsfenster zugefallen. Das passierte manchmal, besonders wenn es windig war. Und der Wind schien auf jeden Fall stärker geworden zu sein, denn ich konnte hören, wie er über das Dach hinwegfegte.
Ich stand auf und hielt das Zaubersäckchen mit beiden Händen über meinen Kopf. Dann schloss ich die Augen und visualisierte, wie ich Energie von den Wächterinnen und Lilith bezog, um den Zauber zu aktivieren. Ich intonierte die Namen der Göttinnen: „Isis, Astarte, Innana, Hekate, Demeter ..." Eine sanfte, rauchige Stimme sprach mit, begleitet von einem knisternden Zischen. Ein weicher, wohlklingender Bariton kam hinzu, dann eine brüchige, alte Stimme. Zuletzt verschmolz alles zu einer einzigen mächtigen Stimme, die so kraftvoll war, dass die Fensterscheiben klirrten und die Balken vibrierten.
Als die Energie ihren Höhepunkt erreichte, sah ich ein grelles rotes Licht, das wie ein Laserstrahl aus meinem Zauberbeutel schoss und in der Dunkelheit verschwand. Ich stellte mir vor, wie sich dieses Licht regelrecht in Dominguez’ Augen, Hände und in sein Herz einbrannte.
Nachdem der Zauber gewirkt war, kniete ich mich hin, um eine Hand flach auf den Boden zu legen und die überschüssige Energie abzugeben. Der Luftdruck fiel, und es knackte in meinen Ohren. Ich schüttelte den Kopf. Merkwürdig. So etwas war noch nie passiert.
Als Nächstes entließ ich die Wächterinnen. Als ich den Kreis gegen den Uhrzeigersinn abgeschritten hatte, sagte ich: „Der Kreis ist geöffnet, aber ungebrochen.“ Bevor ich den Dachboden verließ, löschte ich alle Kerzen und räumte meine Sachen weg. Dann befestigte ich mein Beutelchen an einer Lederschnur und band sie mir um den Hals.
Ich wollte gerade die Treppe hinuntergehen, um schnell zu duschen und mir meinen schmutzigen Po abzuwaschen, da sah ich aus dem Augenwinkel eine leuchtende Palme in der Mitte des Pentakels stehen. Die Palme und das Pentakel schienen in einem übernatürlichen Licht zu erstrahlen. Doch als ich blinzelte, war das Bild wieder verschwunden.
Ich hörte, wie jemand die Wohnungstür aufschloss und hereinkam, als ich mich nach dem Duschen anzog. Da es inzwischen draußen dunkel geworden war, nahm ich an, dass es Parrish war. Wie üblich war ich nach dem Zaubern müde, und so hatte ich meine pinkfarbene Hello-Kitty -Schlafanzughose und mein blaues ausgeleiertes Lieblingssweatshirt übergestreift. Den Zauberbeutel versteckte ich darunter, an meinem Herzen.
„Hey, koch uns doch einen Kaffee, ja?“, rief ich in Richtung Wohnzimmer. Dann gähnte ich und reckte mich schläfrig.
Die Sprungfedern in der Wohnzimmercouch quietschten, als er aufstand. Kurz darauf hörte ich Barney in der Küche niesen.
Das machte mich stutzig. Klassische Vampire wie Parrish lösten bei Barney keine allergische Reaktion aus. Meine Theorie war, dass die Magie eines Vampirs sich nur im Augenblick seiner Wandlung von tot zu untot (und wahrscheinlich beim Biss) manifestierte. Wenn Vampire also nicht gerade jemanden bissen oder in der Umwandlung begriffen waren, nahm Barneys empfindliche Nase sie einfach nur als tote Wesen wahr. Wenn man bedachte, wie gern sie mir tote Mäuse und andere Geschenke von draußen mitbrachte, ergab ihre Zuneigung zu Parrish auf bizarre Weise Sinn. In ihren Augen ähnelte er den Sachen, die sie ins Haus schleppte.
Als Barney abermals nieste, wurde ich leicht nervös. Sebastian war nämlich permanent magisch. „Sebastian?“, rief ich. „Bist du es?“
Über das Geklapper von Dosen und Schranktüren hinweg vernahm ich: „Natürlich, mein Schatz. Was hast du denn gedacht?“
In diesem Moment hörte ich Tritte von schweren Motorradstiefeln auf der Treppe.
S CHLÜSSELWÖRTER :
F ÜRSORGLICH UND BEHARRLICH
Ich stürzte ins Wohnzimmer, um Parrish abzufangen, bevor Sebastian ihn bemerkte. Aber ich kam zu spät. Sebastian stand in der Küchentür und hielt meine Kaffeetasse wie einen Knüppel umklammert, während er mit der anderen Hand eine Filtertüte zerquetschte.
Parrish für seinen Teil blieb völlig gelassen. Er grinste, als er mich sah, und bleckte seine ausgefahrenen Vampirzähne. Er kam direkt vom Frühstück.
Als er gestorben war, hatte Parrish mit Sicherheit eine wunderschöne Leiche abgegeben. Mit seiner kastanienbraunen, seidenweichen Mähne, die ihm bis über die Schultern reichte, sah er aus wie ein Heavy-Metal-Rockstar - ein
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