Beiss noch einmal mit Gefuehl
bisschen Patsy Cline, bis mir wieder ganz schwer ums Herz wurde. Der Uni-Sender spielte einen rührseligen Titel von Tonic, also schaltete ich das Radio wieder aus.
Als ich eine Schüssel Vollkorn-Flakes löffelte und Barney seine Brekkies fraß, beschloss ich, im Holy Grounds Kaffee zu trinken.
Eine Stunde später stand ich an der Bushaltestelle. Der Regen pladderte nur so auf meinen Regenschirm. Ich hatte mich wetterfest angezogen: eine einfache schwarze Jeans mit Schlag, einen dicken Wollpullover und Doc-Martens-Stiefel. Wäre die rote Fledermaus hinten auf meinem knöchellangen Mantel nicht gewesen, hätte ich richtig normal ausgesehen.
Im Bus roch es nach nassen, schlechtgelaunten Menschen. Ich quetschte mich auf den freien Platz neben einem Geschäftsmann mit Laptop auf dem Schoß. Der intensive Geruch seines Rasierwassers vermischte sich mit den Ausdünstungen warmer Körper. Die Fenster waren so beschlagen, dass ich meine Haltestelle verpasste und drei Blocks zu weit fuhr.
Auf der State Street stapfte ich verdrossen durch die Pfützen und verfluchte die Markisen der Geschäfte, von denen sich immer wieder unerwartet der eine oder andere Schwall Wasser über mich ergoss. Als ich endlich das Café erreichte, fühlte ich mich wie eine nasse Katze. Und wahrscheinlich sah ich auch so aus.
Aber der Kaffeemeister hinter der Theke nahm meine Bestellung mit einem Lächeln entgegen. Ich beantwortete die Quizfrage richtig und bekam fünfundzwanzig Cent Rabatt auf meinen Latte. Laut meiner Uhr hatte ich noch eine halbe Stunde Zeit, bevor ich den Laden aufschließen musste. Ich suchte mir einen Platz, legte die Füße hoch und blätterte in der aktuellen The Onion. Nach einer Weile stieß ich auf die verrückte Kifferkolumne und vertiefte mich amüsiert darin. Als ich irgendwann die Türglocke hörte, sah ich ruckartig auf.
Der Regen stellte wundersame Dinge mit Dominguez an. Seine dunklen Locken klebten ihm auf eine Art und Weise am Kopf, dass ich ihm am liebsten sofort ein angewärmtes Handtuch und einen heißen Kakao gebracht hätte. Unsere Blicke kreuzten sich. Er lächelte.
Meine Hand wanderte automatisch zu dem Zauberbeutel, der unter meinem Pullover versteckt war. Ich nahm einen Hauch von Rosenduft wahr, als Dominguez sich einen Stuhl angelte und zu mir setzte. „Wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen, Miss Marlena Ito!“
Ich lachte. „Ja, wirklich.“
„Sind Sie mit meinem Horoskop vorangekommen?“
Ich hatte ganz vergessen, dass ich ihm versprochen hatte, sein Geburtsdiagramm zu erstellen. „Nein, gestern Abend gab’s eine Familienkrise.“
Ich bemühte mich, fröhlich zu klingen, aber er schien etwas zu ahnen. Er beugte sich zu mir vor und schaute mich mit seinen kristallblauen Augen an. „Nichts allzu Ernstes, hoffe ich.“
„Mein Freund hat mit mir Schluss gemacht.“
Ich schwöre, ich sah ein Funkeln in seinen Augen. Seine Mundwinkel zuckten, als müsste er sich mit aller Macht ein Lächeln verkneifen. „Das ist ja schrecklich!“, sagte er, doch besonders bestürzt klang er nicht.
Ich musste unwillkürlich grinsen. Er war einfach süß. Unter dem kleinen Tisch war so wenig Platz, dass wir zwangsläufig mit den Knien zusammenstießen. Doch statt die üblichen Entschuldigungen von uns zu geben, lächelten wir uns nur blöde an. Ich fuhr mit dem Finger über den Rand meines Kaffeebechers und versuchte, mich daran zu erinnern, warum ich so panisch reagiert hatte, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Gut, er wirkte ein bisschen rau, doch je länger ich ihn mir ansah, desto besser gefielen mir seine markanten Züge. Er hatte Ecken und Kanten, wie ich sie im Grunde bei Männern mochte.
„Haben Sie heute frei?“, fragte er.
„Leider nicht“, entgegnete ich. „Ich muss arbeiten.“
„Für eine Vertretung arbeiten Sie aber ziemlich viel.“
Bleib bei der Wahrheit, Garnet!, dachte ich. „Ich brauche das Geld.“
Dominguez nickte verständnisvoll. Das konnte er wahrscheinlich nachvollziehen. Er sah nicht aus wie jemand, der mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen war. Er hatte vermutlich nebenbei jobben müssen, um das College zu bezahlen.
Ganz im Gegensatz zu Sebastian, der gestorben war, bevor Universitäten überhaupt erfunden worden waren, und Parrish, in dessen wildem, rauen Leben Lesen nicht mehr als eine Notwendigkeit darstellte. Dominguez war normal, und das fand ich an diesem düsteren, verregneten Morgen merkwürdigerweise sehr
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