Beißen für Anfänger 1: Hexenzirkus (German Edition)
Tallulah trat zurück und starrte ihn an. Meine Mutter sagte mir, dass Tallulah von einer Zigeunerkönigin abstammt, und ihrer Optik nach könnte da was Wahres dran sein. Ihre Haut hat die Farbe von Milchkaffee, aber ihre Augen sind leuchtend blau. Sie hat langes schwarzes Haar mit einer breiten weißen Strähne an einer Seite, und sie steckt sie immer zu einem bauschigen Nackenknoten auf. Sie ist älter als meine Mutter, aber es ist schwer, ihr genaues Alter zu bestimmen, da ihr Gesicht vollkommen faltenfrei ist, während sogar meine Mutter ein paar Fältchen um die Augen hat. »Warum sollte irgendjemand Ben umbringen wollen?«
Beide richteten den Blick auf mich. »Starrt mich nicht so an! Ich weiß auch nicht, warum. Ich weiß noch nicht mal, wer dieser Jemand ist. Wir waren zwischen zu vielen Menschen eingepfercht. Ich konnte nur fühlen, dass irgendjemand Ben pfä… äh töten will.«
Ich weiß, was ihr denkt. Noch vor ein paar Stunden hatte ich Ben belehrt, dass ich meine Probleme bestens ohne seine Hilfe (vielen Dank auch) bewältigen könnte, und was tat ich jetzt? Ich plauderte alles aus. Aber ich war nicht bescheuert. Ich wusste schon, dass ich meine Sachen auf die Reihe kriegte – mich mit meiner Mutter und ihren Ansprüchen an mich auseinandersetzen konnte, um die wahrscheinlichste Person zu ermitteln, die das Geld geklaut haben könnte –, aber das hier war etwas anderes. Bens Leben stand auf dem Spiel. Er musste alles erfahren, um sich aus dem Staub machen zu können, bevor der Pfähler ihn erwischte.
Meine Hände zitterten in seinen. Ich wusste, dass er es fühlen konnte, aber er sagte nichts. Stattdessen drückte er meine Finger leicht, bevor er sie losließ, aufstand und meine Handschuhe aus seiner Gesäßtasche angelte. Ich zog sie an, dabei schwor ich mir insgeheim, sie nie wieder abzulegen.
Zugegeben, ich wusste, dass es ein Schwur war, den ich nicht würde halten können, trotzdem fühlte er sich etwa zehn Sekunden lang gut an.
»Kannst du laufen oder soll ich dich wieder tragen?«
Mist
! Er hatte mich tatsächlich zu Tallulahs Zelt getragen, aber ich war zu benommen gewesen, um es zu merken. »Nein, ich kann laufen. Mir fehlt nichts, außer dass ich ein bisschen durcheinander bin. Danke, dass ich hier sitzen durfte, Tallulah.«
»Du weißt, dass du mir immer willkommen bist, Fran.« Sie taxierte Ben mit einem nachdenklichen Blick, während ich mich hochrappelte. »Ich denke, ich sollte mit Sir Edward Kontakt aufnehmen und ihn fragen, was er über diese Sache weiß.«
Ben bedankte sich mit einer formvollendeten Verbeugung. Tallulah neigte den Kopf, und in diesem Moment verstand ich, warum man ihr eine königliche Abstammung nachsagte. Ich winkte ihr mit den Fingern zu, dann machte ich mich in Begleitung von Ben auf den Weg zu meinem Wohnwagen. Er versuchte nicht, meine Hand zu nehmen, was in Ordnung war, obwohl ich es mir insgeheim gewünscht hätte.
»Willst du mir nicht erzählen, was passiert ist? Was wirklich passiert ist, nicht die Tallulah-Version. Und zwar von dem Augenblick an, als du ins Zelt gekommen bist, bis zu deinem Schwindelanfall.«
Ich nagte an meiner Lippe und entschied, dass eine kleine Zensur angebracht war. »Ich habe nichts gespürt außer dem Glamour, und selbst den habe ich anfangs nicht wahrgenommen. Wenn ich ehrlich sein soll, fand ich die Musik sogar ziemlich mies.«
Ein Lächeln flackerte über seine Züge. »Sie
war
mies. Darum brauchten sie den Glamour.«
(Ein Glamour – für die unter euch, die mit dem neuesten Magie-Fachjargon nichts anzufangen wissen –, war ein Zauber, der angewandt wird, um die Wahrnehmung von etwas zu beeinflussen – in der Regel zum Positiven. Anders ausgedrückt, hatte eins der Bandmitglieder einen Glamour verwendet, um die Zuschauer glauben zu machen, die Musik sei fantastisch, und in ihnen das überwältigende Bedürfnis zu wecken, darauf zu tanzen. Viele Leute können einen Glamour bewirken – Hexen, Dämonen, Zauberer, Vampire … Es ist keine große Kunst. Nur hatte ich selbst nie Erfahrung damit gemacht, weil ich den versponnenen Freunden meiner Mutter immer aus dem Weg gegangen war.
»Dann hast du gefragt, ob ich tanzen möchte, und alles fing an, Spaß zu machen.« Ich warf ihm einen Blick zu, um festzustellen, ob er daraus folgerte, dass ich ungeachtet des Glamours gern mit ihm getanzt hatte, aber da wir gerade hinter Elvis Wohnwagen vorbeigingen, lag Bens Gesicht im Schatten. »Das Nächste, was ich weiß, ist,
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