Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
Bunsenbrenner in Gang setzen, als mich ein sehr seltsamer Anblick vor dem Küchenfenster stutzen lässt.
»Was ist?«, fragt Marcel ungeduldig.
Ich reiße das Fenster auf.
»Braucht ihr Hilfe?«, brülle ich hinaus. Eine gänzlich überflüssige Bemerkung, denn Hein und Bianca sind ganz offensichtlich nicht dazu geschaffen, ein wild gewordenes ausgewachsenes Schaf zu bändigen. Sie ziehen und zerren an dem Tier, das zwar nach allen Seiten so wild ausschlägt, dass die Eisklümpchen von seinen Zotteln fliegen, sich aber laut blökend nicht von der Stelle rühren will, obwohl es ja irgendwie aus Biancas Stall entkommen sein muss.
»Die Leine von Linus«, brüllt Jupp und winkt mir mit einer Krücke zu.
Dieser Anblick macht mir mehr Sorgen als der eines entlaufenen halbgefrorenen Schafes, das mir persönlich unbekannt ist.
»Was ist denn mit Jupp passiert?«, frage ich Gudrun.
»Vom Baum gefallen. Als er das Strickzeug runterholen wollte. Weil es im Schnee so schlapp um den Baum hing und nicht mehr schön aussah. Da ist er dann abgerutscht und aufs Knie gestürzt.«
Sie stellt drei weitere Schälchen auf die Anrichte, wischt sich die Hände an der Schürze ab, reißt die Hundeleine vom Haken und schreit zum Fenster raus: »Ich mach das schon.«
Wenn irgendjemand einem renitenten Vierbeiner beikommen kann, dann Gudrun.
Wie sie das schafft, wollen Marcel und ich vom Fenster aus beobachten. Aber anstatt dem Schaf die Leine anzulegen, entschwindet Gudrun aus unserem Blickfeld. Wenig später vernehmen wir lautes Bellen.
»Mal wieder Haus der offenen Tür?«, tadelt Marcel.
»Die wird doch nicht Linus auf das Schaf loslassen!«, rufe ich alarmiert. Gudrun weiß doch, wie nutzlos und verspielt der Labrador-Staffordshire-Terrier ist, der jeden Einbrecher schwanzwedelnd begrüßen würde, weil er auf ein Leckerli hofft. Dass er mal ein vergiftetes runterschluckt, ist seit Jahren eine meiner größten Sorgen. Die andere ist die Angst, dass sich aus dem Unterbewusstsein seines tierischen Wesens die Kampfhundgene melden und aktivieren könnten. Bitte nicht das Schaf vor meiner Tür reißen!
»Lamm auf Heu im Ofen viele Stunden ganz langsam garen«, sagt Marcel. »Hab ich neulich was drüber gelesen. Solltest du mal machen. Aber heute wird daraus nix. Schau, sie hat ihn an der Leine.«
Gudrun führt den Hund ganz nah an das Schaf heran, an dessen eiszapfenverklebtem Fell Bianca und Hein immer noch herumzerren. Das Tier tobt erst einmal weiter. Dann öffnet Linus sein Riesenmaul und lässt die Fänge sehen. Nicht nur ich erstarre. Auch das Schaf ist beeindruckt. Endlich hält es still. Bianca und Hein sind so überrascht, dass sie es einfach loslassen. Gudrun klickt die Leine auf und versetzt dem Hund einen kleinen Klaps. Linus bellt kurz, blickt das Schaf herausfordernd an, wendet sich ab und schlägt dann den ihm vertrauten verschneiten Weg zum Verbotsgelände ein. Wir trauen unseren Augen kaum. Das Schaf schüttelt sich noch einmal kurz und trottet dem Hund dann gemächlich hinterher. Gudrun blickt zu uns hinüber und bekreuzigt sich, bevor sie Bianca und den beiden Tieren folgt.
»Da bekommt das Wort lammfromm doch eine ganz andere Bedeutung«, sage ich und überlege, dass ich meiner Mitarbeiterin zu anderem Schuhwerk raten sollte. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Tagen wandelt sie nackten Fußes durch den Schnee – diesmal aber wenigstens in Birkenstocksandalen. »Vielleicht war das Schaf nur hitzig und ist darum abgehauen.«
»Schafe sind bockig«, versetzt Marcel, »wie manche andere Wesen auch.« Er schiebt mir den Hocker hin und fasst mir leicht an die Schulter. »Setz dich, Katja, wir müssen über einiges reden.«
Bloß nicht! Ausgesprochenes ist unwiderrufbar und in meiner derzeit so fragilen Gemütslage gefährlich. Ich schüttele den Kopf, verweise auf die vor mir liegende Arbeit des Abflämmens der Karamellkruste und deute mit dem dafür geschaffenen Gerät zur Tür. Die Hitze, die der Bunsenbrenner gleich entfachen wird, ist nichts im Vergleich zu der, die sich gerade in mir breitmacht. Liegt bestimmt an den Wechseljahren. Ich drehe Marcel den Rücken zu. Mein rotes Gesicht würde er garantiert fehlinterpretieren.
»Geh lieber zu Hein und Jupp in den Gastraum«, sage ich so gelassen wie eben möglich. »Ich bring euch gleich noch etwas Möhrensuppe.«
»Und die Schüsselchen.«
»Zum Nachtisch«, sage ich, dankbar für einen Hunger, der größer als ein Aussprachebedürfnis ist. »Wenn alle da
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