Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
großen Handtasche, die in den Fußraum geschleudert worden ist. Da ist hoffentlich ein Handy drin.
Ich kippe die Tasche auf dem Beifahrersitz aus, fische das Smartphone heraus und tippe 100 ein, die Nummer des belgischen Notrufs.
»Unfall«, stammele ich, als mir irgendwas Französisches ins Ohr dringt, und setze hilflos hinzu: »Bitte deutsch, allemand!« Meine derzeitige geistige Lage macht es mir unmöglich, die geografische in irgendeiner Fremdsprache zu beschreiben. Ein Problem, vor dem bis vor wenigen Jahren auch manch deutschsprachiger Belgier gestanden hat, der kein Französisch beherrschte oder dem es in seiner Aufregung entfallen war: In der Notrufzentrale von Lüttich saß damals ausschließlich französischsprachiges Personal. Das soll sich geändert haben. Hoffentlich stimmt Marcels Behauptung, die DG habe inzwischen durchgesetzt, dass der Telefondienst auch Deutsch verstehe.
»Wo sind Sie, Madame?«, höre ich jetzt zu meiner unendlichen Erleichterung.
»Unfall mit Verletzten, auf der N634 zwischen Hergersberg und Berterath«, sage ich knapp und wähle danach sofort Marcels Handynummer. Er nimmt nicht ab.
Natürlich nicht. Er steht ja gerade als Don Camillo in seiner Nylon-Soutane auf der Bühne. Und hatte uns zur anschließenden Premierenfeier eingeladen, falls die Fackelwanderer nach ihrem Imbiss nicht allzu lange auf der Kehr hängen bleiben sollten.
»Was … ist … passiert?«
Claire öffnet die Augen einen Spalt.
»Rühren Sie sich bitte nicht«, sage ich, als sie fahrig zu ihrem Gurt greift. Ich knipse ihn ihr auf. »Hilfe ist schon unterwegs. Sie hatten einen Unfall.«
»Hilfe«, murmelt sie und schließt die Augen wieder.
Wir liegen zu zweit in einem Zimmer des St.-Joseph-Krankenhauses in St. Vith. Mir geht es gut, von einem leicht aufgeschürften Knie mal abgesehen. Und Claire hat ungeheures Glück gehabt, wie uns der Arzt versichert. Durch den Aufprall und die Auslösung des Airbags hat sie sich nur ein Schleudertrauma zugezogen und ein paar Rippen gequetscht. Die Befürchtung des Notarztes vor Ort, dass Körperhöhlen geschädigt sein könnten, hat sich zum Glück nicht bestätigt. Sie muss auf jeden Fall noch ein paar Tage im Krankenhaus verbringen. Ich widerspreche nicht, als mich der Arzt bittet, ebenfalls noch eine Nacht zur Beobachtung dazubleiben. Eine bessere Gelegenheit, Antworten auf meine Fragen zu kriegen, kann es gar nicht geben.
Leider hat ein mir fremder belgischer Polizist meine Aussage aufgenommen. Ich hätte mir Erwin Hannen gewünscht, aber der muss an diesem Abend auf der Bühne seiner Rolle als Don Camillos Gegenspieler Peppone gerecht werden.
Natürlich habe ich inzwischen längst auf der Kehr angerufen. Die Party ist noch in vollem Gange, aber meine Leute kommen auch ohne mich zurecht. Unser fleischloses Durcheinander hat allen geschmeckt. Gudruns Angebot, mich später zu besuchen, lehne ich ab. Sie solle mich lieber am nächsten Morgen abholen. Mein Auto ist zwar nur leicht beschädigt, aber als Beweismittel von der belgischen Polizei vorübergehend eingezogen worden. Von dem Attentat sage ich nichts, ich spreche nur von einem Unfall.
Erleichtert, dass ich offenbar so glimpflich davongekommen bin, gibt mir Gudrun eine Denksportaufgabe für die Nacht mit: »Wie kommt auf der Kehr ein totes Reh auf einen Hochsitz?«
»Wird wohl ein Jäger da abgelegt haben.«
»Nein. Kein Jäger und auch kein anderer Mensch.«
»Dann war es eben ein Tier«, sage ich ungeduldig. Mir ist nicht nach einem müßigen Rätsel. Ich habe jetzt ein lebenswichtiges zu lösen.
»Aber welches und warum? Denk mal drüber nach«, empfiehlt sie. »Zeit hast du ja, und schummeln kannst du nicht. Dein Smartphone hast du ja hier bei uns vergessen.«
Wir verabschieden uns und trennen die Verbindung. Ich drücke auf den Knopf am Bett. Um wieder klar denken zu können, brauche ich jetzt unbedingt was zu essen. Dann werde ich in aller Ruhe meine Fragen stellen. Doch Claire Maraite kommt mir zuvor.
»Warum sind Sie mir nachgefahren?«, fragt sie mit unverhohlenem Misstrauen in der Stimme. Ich überlege, wie ich die unterschwellige Verdächtigung ausräumen kann. Zugegeben, an Claires Stelle wäre ich mir auch nicht ganz geheuer. Ebenso wie sie treibt mich die Frage um, weshalb sich die fremde Frau ausgerechnet mein Restaurant ausgesucht hat, um den Priester hinzurichten. Heins Begründung, die Kehr sei historisch gesehen eben ein mörderisches Pflaster, halte ich für unzureichend. Schon
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