Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
Priesters! Diejenigen, die ich bislang für solche halte, morden oder werden ermordet – wobei mir Marcel natürlich immer noch nicht verraten hat, ob die beiden toten Frauen in Hergersberg früher tatsächlich als Ministrantinnen bei Lambert gedient haben.
Ich frage mich, ob das Leben der jungen Frau vor mir ebenfalls in Gefahr gewesen sein könnte. Hat Lambert die Tochter gemeint und den Vater getroffen? Musste Volker Maraite anstelle seiner Tochter sterben?
»Haben Sie das Polizeiinspektor Langer auch erzählt?«
»Nicht so ausführlich, war ja nicht so viel Zeit. Es ging ihm vor allem um die Frau, von der Lambert erschossen wurde, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Vater mit so jemandem Umgang gepflegt haben soll. Frauen haben ihn nach dem Tod meiner Mutter überhaupt nicht interessiert, und diese habe ich jedenfalls noch nie gesehen.«
»Wie war Lambert als Pastor?«
»Geliebt«, antwortet sie sofort. »Von allen.«
»Vor allem von den Messdienerinnen?«
»So meinte ich das nicht«, entgegnet sie und wird tatsächlich rot. »Er war gütig, einfühlsam und immer für jeden da. Wir Messdienerinnen waren natürlich alle ein bisschen verliebt in ihn. Er war ja ein sehr attraktiver und liebenswerter Mann.«
Es fällt mir schwer, diese Beschreibung auf den abgerissenen alten Mann zu übertragen, der vor meinen Augen erschossen wurde – und doch fällt mir jetzt ein, dass ich die zerfurchten Gesichtszüge nicht uninteressant gefunden habe. Außerdem dürften Claire Maraites Zeiten als Ministrantin auch etwa fünfzehn Jahre zurückliegen.
»Dazu war er noch unerreichbar«, setze ich hinzu.
»Klar, das machte einen Teil seiner Anziehungskraft aus. Junge Mädchen schwärmen ja auch für Filmstars und Rocksänger.«
Meinen nächsten Satz lasse ich so nonchalant wie möglich über die Lippen gleiten: »Und da ist der Pastor nie schwach geworden?«
Sie lacht leise.
»Schwer vorstellbar, aber natürlich nicht unmöglich. Ich weiß es nicht.«
»Es gab keine Gerüchte?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nicht mal über eine Haushälterin wie in manchen anderen Pfarren.«
»Weil ihm erst seine Mutter und dann seine Schwester den Haushalt führten. War bestimmt sehr schlimm für die arme Christine Lambert, als er plötzlich spurlos verschwand.«
Claire senkt die Lider und beißt sich auf die Lippen. Als sie wieder aufblickt, lese ich so etwas wie Verzweiflung in ihren Augen. Sie will mir etwas sagen und weiß nicht, wie.
»Mein Vater …«, beginnt sie, bricht aber sofort wieder ab.
Lichter tanzen vor den Fenstern der Einkehr . Es wird gerufen, gelacht und Schnee von den Stiefeln gestampft. Die ersten Fackelwanderer sind schon da. Wortfetzen entnehme ich, dass der Schneematsch nicht einmal zugelassen habe, in die Nähe des südlichsten Punktes von NRW zu gelangen. Noch vor dem verlassenen Hof auf der rechten Seite des Losheimer Landgrabens – übrigens nicht zu verwechseln mit dem Losheimer Graben, der sich einige Kilometer weiter nördlich befindet – habe Bürgermeister Westerburg die Wanderung abgebrochen.
Wo bleiben Gudrun, Bianca, Robert und Hein? Die sollen sich doch um die Leute kümmern, mit denen sie durch den Schnee gestapft sind. Ich habe Wichtigeres zu tun.
In die Küche können wir nicht. Da sitzt Jupp am Telefon.
Ich bitte Claire, mir zu folgen, und stoße die Tür zu Gudruns privatem Reich auf. Am Schrank hängt ein frisch gewaschenes orangerotes Sweatshirt. Wie ist das so schnell zu Gudrun zurückgekehrt?
»Texas«, liest Claire die Aufschrift. »Da hätte mein Vater auch sein können. Oder auf dem Mond.«
»Wie bitte?«
»Mein Vater war auch jahrelang verschwunden. Wie Pastor Lambert.«
»Aber Ihr Vater ist zurückgekehrt.«
»Erst vor einem halben Jahr.«
»Und wo war er in der ganzen Zeit?«
»Weder in Texas noch auf dem Mond.« Sie klingt sehr bitter. »Innerlich war er Lichtjahre von mir entfernt, geografisch gesehen aber gar nicht weit weg. Und hat sich nie bei mir gemeldet.«
Ich ignoriere den Lärm aus dem Gastraum. Irgendein Geschirr ist da soeben zu Bruch gegangen.
»Warum nicht?«
»Er konnte es damals nicht, hat er gesagt. Weil er geglaubt hatte, das würde alles kaputt machen.«
Jetzt beiße ich mir auf die Lippen. Keine Fragen stellen. Das Mädchen weiterreden lassen. Da will etwas raus.
»Er hatte sich für die Zeit nach seiner Pensionierung so viel vorgenommen. Aber dann starb meine Mutter, und alle Pläne waren Makulatur. Mein Vater fiel in ein tiefes
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