Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
weil wir überhaupt kein Pflaster haben.
Ich will gerade zu einer vorsichtigen Antwort ansetzen, als die Tür aufgeht und Marcel eintritt.
Da er direkt von der Premierenfeier kommt, hätte ich erwartet, ihn in seiner Soutane wiederzusehen. Aber wahrscheinlich hat er überlegt, außerhalb der Besuchszeiten in Uniform eher Zutritt zu erhalten. Er muss sich rasend schnell umgekleidet haben, da kein Hemdknopf dem entsprechenden Loch zugeordnet ist. Das Wäschezeichen des verkehrt herum und auf links angezogenen T-Shirts muss seine Kehle kitzeln. Doch weder die schlampige Aufmachung noch die Theaterschminke scheinen seiner Autorität bei der Dame am Empfangsschalter der Klinik geschadet zu haben. Dank eines ziemlich unsachkundig angebrachten Lidstriches sehen seine Augen sehr wild aus, vor allem das rechte. Den Lippenstift hat er inzwischen zwar fast ganz abgegessen, aber das Rouge in seinem braun gefärbten Gesicht lässt ihn fiebrig aussehen; ein Eindruck, der durch das wirr abstehende Haar noch verstärkt wird.
»Einen Priester stelle ich mir blasser vor«, sage ich und schrecke dann zusammen. Der letzte Priester, den ich gesehen habe, war sehr blass gewesen.
»Don Camillo ist nun mal Italiener«, bemerkt Marcel. »Gut, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist.« Er zieht ein Taschentuch hervor und wischt zerstreut damit in seinem Gesicht herum, was der Optik nicht zuträglich ist. Bevor er sich einen Stuhl greifen kann, rutsche ich aus dem Bett.
»Wir gehen erst mal ins Badezimmer und waschen uns die Schmiere aus dem Gesicht.«
»Wir können das auch ohne fremde Hilfe«, entgegnet er, hebt abwehrend die Hand, die ich gerade ergreifen will, und verschwindet hinter der Tür.
»Sie kennen ihn?«, fragt Claire. Ihre Stimme klingt erleichtert.
»So ganz fremd sind wir uns nicht.«
Wie wenig fremd, erfährt Claire etwas später, als eine Krankenschwester mit einem Tablett ins Zimmer kommt. Die Frau nickt zu den verlorenen Wurst- und Käsestückchen neben ein paar labbrigen Toastscheiben hin und merkt bedauernd an, die Küche, die sonst vorzügliche Kost anbiete, sei leider schon geschlossen und werde gerade geputzt; dies sei alles, was sie für uns noch habe abstauben können. Marcel flüstert ihr etwas ins Ohr, nimmt ihr das Tablett ab und folgt ihr dann aus dem Zimmer.
»He!«, rufe ich ihm hinterher. »Ich habe Hunger! Das habe ich bestellt.«
Er steckt den Kopf noch mal durch die Tür.
»Nee, nee, das da bestimmt nicht«, sagt er grinsend. »Komm gleich wieder zurück.«
Die Versuchung, in seiner Abwesenheit mein Herrschaftswissen weiter auszubauen, ist zwar übermächtig, aber ich erspare der verletzten Frau die Zumutung, alles zweimal erzählen zu müssen. Ich weiß, wie das ist. Nach so einem Schock muss man sich erst mal selbst sortieren.
Also beantworte ich nur ihre Frage von vorhin. »Ich bin Ihnen hinterhergefahren, weil Ihnen jemand anders direkt hinterhergefahren ist. Das erschien mir verdächtig. «
Sichtlich beruhigt nickt sie.
»Das war gut. Vielen Dank. Ohne Sie läge ich jetzt als verkohlte Leiche in der Gerichtsmedizin. Das war nämlich nicht mein Benzinkanister.«
»Woher wissen Sie …«
»Hat mich die Polizei nach gefragt. Da bin ich beinah wieder ohnmächtig geworden. Aber eins wundert mich schon: Warum der Mann abgehauen ist, als Sie kamen. Warum hat er Sie nicht einfach auch umgebracht?«
Genau. Zwei Leichen und zwei Autos hätten die These vom Verkehrsunfall schön untermauert. Ich hätte dem Attentäter wie gerufen gekommen sein müssen. Vielleicht ist er schlicht in Panik geraten. Oder meine Statur hat ihn verschreckt. Weil ich die Antwort auch nicht kenne, sage ich leise: »Aber, Claire, Sie haben doch überlebt.«
Wenig später starrt sie fassungslos auf den kleinen Tisch, den Marcel zwischen unsere Betten geschoben hat.
»Was ist das denn alles?«
»Das ist noch gar nichts«, antwortet Marcel. »Warten Sie mal ab, was für ein Festessen Frau Klein gleich draus machen wird.« Er setzt sich neben mich auf meine Bettkante und wendet sich mir zu. »Die Eier sind natürlich hart gekocht. Eine mobile Kochplatte wollte man mir nicht mitgeben. Und jetzt, Frau Maraite, erzählen Sie am besten von vorn, was passiert ist.«
Er zückt seinen Block.
Gerührt nehme ich das kleine scharfe Messer in die Hand, das mir helfen wird, zwei Eier, eine Möhre, Wurstscheiben, Käsestückchen, drei Kumquats, eine Selleriestange, drei Radieschen, zwei Tomaten, eine winzige Gurke, eine Zwiebel,
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