Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
fremdartige Betätigung: Er begann zu joggen.
»Dass du so bescheuert durch die Gegend rennst, fanden wir damals schon verrückt«, unterbricht ihn Hein.
»Völlig sinnlos«, stimmt Jupp zu.
David verteidigt sich; damals habe er die Bewegung gebraucht, um einen klaren Kopf zu kriegen.
»Sieht man ja, wo das hingeführt hat«, bemerkt Hein. »Jetzt bist du total gaga.«
Ich beuge mich runter, reiße mit den Zähnen die Rolle Paketband von der Hundepfote und drohe an, jedem den Mund zu verkleben, der David jetzt nicht ausreden lasse.
»Und da ist mir Barbara begegnet. Beim Joggen.«
»Bist du etwa bis nach Burg-Reuland gejoggt?«, frage ich fassungslos.
Hein reißt mir das Klebeband aus der Hand und fuchtelt damit vor meiner Nase herum.
»Wieso Burg-Reuland? Ich bin hier auf der Kehr gejoggt.« Zu unserer Verblüffung informiert er uns, dass die Sippe in einem alten Hof am Losheimer Landgraben lebt.
»Von da komme ich gerade her.«
»Aber du bist doch am Freitag nicht zu Fuß vom Einkaufszentrum in Wemperhardt hierhergelaufen?«, frage ich entsetzt.
»Natürlich nicht«, unterbricht Hein. »Diese Barbara hat gesehen, dass er weggerannt ist, und hat ihn auf der Straße aufgegabelt, stimmt’s, David?«
»Right.«
»Und dich zum Sektenhaus auf die Kehr gefahren. Wahnsinn«, sagt Jupp. »Sag bloß, ihr wohnt in diesem großen Hof beim südlichsten Punkt NRWs? Der steht doch schon seit Ewigkeiten leer!«
Wie so viele Häuser und Höfe in der Umgebung der Kehr. Dass die Sekte – oder die Sippe, wie David sie nennt – von uns allen unbemerkt quasi um die Ecke haust, sollte uns nicht wundern. In unserer Gegend gibt es nämlich nicht mal ansatzweise so etwas wie eine Dorfgemeinschaft; die Neugier darüber, was der Nachbar tut, hält sich in den von der Politik willkürlich gezogenen Grenzen: Die Belgier bleiben unter sich, wie auch die Rheinlandpfälzer und die Menschen aus Nordrhein-Westfalen. Gudrun hält nur Kontakt zu den Kehrern aus Rheinland-Pfalz, dem Bundesland, in dem ihr Elternhaus steht. Fremden Gästen erzählt sie gern, sie sei erst vor Kurzem nach NRW übergesiedelt – und meint damit mein Restaurant, nicht mal fünfhundert Meter von dem rheinland-pfälzischen Haus entfernt, in dem sie aufgewachsen ist.
Mir kommt es gelegentlich so vor, als verschanze sich auf der Kehr jeder in seinem eigenen Haus. Was angesichts der hier herrschenden klimatischen Verhältnisse sicherlich sehr oft sehr vernünftig ist.
Manchmal höre ich von Gudrun, dass irgendeines der verlassenen Häuser an irgendwelche Stadtmenschen verkauft worden ist. Die aber bekommen wir nie zu Gesicht. Schon weil die meisten bald feststellen, dass es viel romantischer ist, von einem Haus in der Eifel zu träumen, als es tatsächlich herzurichten und darin zu wohnen. Und manchmal sind sie schon wieder weg, bevor wir überhaupt mitbekommen haben, dass sie ein Anwesen aus seinem Dornröschenschlaf hatten erwecken wollen.
»Het hebben van de zaak is het einde van het vermaak«, seufzte vor Jahren ein Holländer, der sich in meinem Restaurant für den Rückzug nach Amsterdam kräftigte.
Ich verstand: Wenn man die Sache tatsächlich besitzt, ist die Freude daran futsch.
Mehr als ein halbes Jahrzehnt lebe ich schon auf der Kehr, und obwohl ich hier ein Restaurant führe, kenne ich nicht mal die Hälfte der dreiundsechzig Eingeborenen, über die Hildegard in der Kirche referiert hat. Mein Lokal wäre der einzige Ort, wo Klatsch und Tratsch öffentlich ausgetauscht werden könnten, aber da ich die Hinzugezogene bleibe, tritt der Ureinwohner der Kehr bei mir nicht so einfach über die Schwelle. Weniger aus Angst vor etwaiger Vergiftung durch Fremdstoffe – vor allem die Belgier sind kulinarisch sehr aufgeschlossen –, sondern weil es sich gehört, die Wirtschaft von Verwandten anzukurbeln, auch wenn die ein paar Kilometer weiter weg ihre Spezialitäten anbietet. Meine Kundschaft kommt hauptsächlich aus Prüm, Losheim, Ormont, Stadtkyll, Jünkerath und anderen nahe gelegenen Orten. Oder überhaupt nicht – wie heute Abend.
Wer sich vor der Welt verstecken will, ist in der Schneifel also an der richtigen Adresse. Das wusste der Pfarrer genauso gut wie das elternlose Mädchen aus Atzerath. David spricht von Barbara, als sei sie die Chefin der Organisation; für mich kristallisiert sie sich aber langsam als der Zauberlehrling heraus, der dem Meister Paroli geboten und dann die Kontrolle über das Projekt, sich selbst und wahrscheinlich auch
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