Bekehrung: Ein Eifel-Krimi (Eifelkrimis) (German Edition)
was?«
»Stillliegen. Das war ein Exer … Exertium?«
»Exerzitium.«
»Ein Was?«, fragt jetzt Hein.
»Eine Übung spiritueller Natur«, erkläre ich.
»Einfach nur rumliegen ist eine Übung spiritueller Natur?«, fragt Jupp.
»Das ist ganz schön schwer, dich kein bisschen zu bewegen, versuch das mal!«, entgegnet David heftig.
»Nur bei dem Gedanken juckt es mich jetzt schon überall.« Jupp schaudert und kratzt sich am Arm.
»Aufrecht stillstehen ohne Bewegung geht überhaupt nicht«, fährt David fort. »Habe ich ausprobiert.«
Auf Barbaras Anraten hatte er einmal an die Zimmerdecke ein Blatt Papier geklebt, sich einen Besenstiel auf den Rücken gebunden und an dessen Ende einen Filzstift befestigt.
»Ich habe versucht, total stillzustehen. Zehn Minuten lang. Dann habe ich hochgesehen. Da war ganz viel Gekrakel auf dem Papier. Ich habe es nicht gemerkt, aber ich habe immerzu gewackelt.«
Wackelwanderung . Was ist bloß mit Marcel geschehen?
»Hörst du überhaupt zu, Katja?«, fragt David eindringlich.
»Ja, du hast gewackelt, David.«
»Und wie!«, bemerkt Hein süffisant. »Hast du dafür eine Erklärung?«
David nickt eifrig.
Das sei der Zeit geschuldet, sagt er, in der man sich bewegt, und der Schwerkraft, gegen die jeder Mensch unentwegt ansteuere, um nicht zu stürzen, hatte Barbara erklärt. Falls er jemals absolute Bewegungslosigkeit erreichen könnte, würde er auf der Stelle verschwinden. Das Universum würde nämlich aufgrund seiner rasenden Bewegungen von ihm weichen, und dann wäre er nicht mehr da. Wer aber das Diktat der Zeit breche, könne jede Bewegung rückgängig machen und so den Stillstand erreichen, ohne zu verschwinden, ganz schlicht und einfach.
»Ganz schlicht und einfach: Geschwirbel, Geschwarbel, Geschwurbel«, breche ich ein. Wenn das stimmte, dann müsste jede Leiche aufgrund ihrer absoluten Bewegungslosigkeit verschwinden, aber das tut sie leider nicht – so gern ich das vor vier Tagen ja gehabt hätte.
Ich mustere David misstrauisch. Wenn er – wie Claire am Samstagabend – seinen Vortrag ausweitet, muss ich davon ausgehen, dass er doch enger mit der Sippe verknüpft ist, als er uns glauben lassen möchte. Nehme ich ihm wirklich ab, wenn er behauptet, er kenne Claire nicht; sie habe gar nicht dazugehört?
Wir reden jetzt schon seit mindestens einer Stunde, aber die wichtigsten Fragen bleiben offen. Ich weiß immer noch nicht, warum sich David vor der Frau versteckt, in die er sich verliebt hat. Aber da ich nun mal das Gesetz der Chronologie aufgestellt habe, muss ich mich auch daran halten und frage stattdessen: »Hast du das Paket mit den Handytaschen dem Flohmarktmann vor die Tür gestellt?«
»Ja«, sagt David. »Die Brownies habe ich umsonst dazugetan. Barbara war sehr wütend, dass ich sie gebacken habe. Aber ich wollte etwas Festliches machen für unseren letzten …«
Er bricht ab. »Besser, ich erzähle nach der Reihe.«
»Der Reihe nach«, murmelt Hein.
Sehr ärgerlich, dass ich den Geist der Chronologie gerufen habe. Ich würde ihn jetzt sehr gern loswerden. Aber wir haben den Geist von Jean-Marie Lambert gerufen, und der verlangt mir jetzt Geduld ab.
Als David im Herbst bei Barbara einzog, packte Volker Maraite gerade seinen Hanfsack. Barbara verbot auch David, jemals wieder den Namen des Abtrünnlings zu nennen. Die Sippe dürfe niemanden kennen, der sich dem Tod freiwillig ausliefere, obwohl er es doch besser wisse. Inzwischen hatte David auch die sieben anderen Bewohner kennengelernt; er kochte für alle. Höchst frugale unsinnliche Kost; basic food , sagt er mit einem vielsagenden Seitenblick zu mir. »Kartoffelpizza zum Beispiel, das habe ich oft gemacht.«
»Kann durchaus lecker sein«, merke ich an. »Wenn man Bärlauch, Chili, Rosmarin, Thymian und gutes Olivenöl dazutut.«
Barbara aß weder Kartoffelpizza noch irgendetwas anderes. David hat sie auch nie etwas trinken sehen. Seine Verwunderung darob konterte sie mit der Erklärung, ihren Stoffwechsel schon so weit in den Griff bekommen zu haben, dass sie keinerlei Nahrungszufuhr mehr benötige.
»Das ist doch Quatsch«, empört sich Jupp.
David hegte da auch so seine Zweifel, vor allem, da Barbara als Einzige regelmäßig das Haus verließ und sich daher anderswo hätte satt essen können. Doch er war nach wie vor von dieser Frau besessen, von ihrer Schönheit, Klugheit und der scheinbar sanften Autorität, mit der sie virtuos auf die anderen einwirkte. Sie ließ allerdings nicht
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