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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Zicklein beherrschte sich schlecht, sie kam gar nicht darauf, es zu tun und irgendein Hehl daraus zu machen, daß es um sie geschehen war. Ihre blauen Augen hingen ständig an mir, verzückt und traumverloren, und wenn die meinen ihnen begegneten, so senkte sie wohl, das Gesicht mit Blut übergossen, den Blick auf ihren Teller, hob ihn aber gleich wieder, als dürfe sie es nicht fehlen lassen, gewaltsam aus der Glut ihres Angesichts hingebend zu mir auf. Man durfte die Wachsamkeit der Mutter nicht schelten; wahrscheinlich war sie gewarnt durch frühere Anzeichen dafür, daß dieses Kind Birminghamer Wohlanständigkeit zur Zügellosigkeit neigte, zu einem unschuldig-wilden Glauben an das Recht und sogar die Pflicht, sich offen der Leidenschaft zu überlassen. Gewiß tat ich nichts, dem Vorschub zu leisten, nahm mich schonend und fast ermahnend zurück, ging in meinem Verhalten zu ihr nicht über die dienstlich gebotenste Aufmerksamkeit hinaus und billigte die für Eleanor freilich sehr grausame, zweifellos von der Mutter verordnete Maßnahme, daß Twentymans, anfangs der zweiten Woche, den Tisch bei mir aufgaben und in einem entfernten Teil des Saales verzogen, wo Hector bediente.
    Aber mein wildes Zicklein wußte Auskunft. Plötzlich erschien sie, schon acht Uhr früh, bei mir unten zum Petit déjeuner, während sie doch bis dahin, wie ihre Eltern, auf ihrem Zimmer gefrühstückt hatte. Gleich beim Hereinkommen wechselte sie die Farbe, suchte mich mit ihren geröteten Augen und fand – denn um diese Stunde war der Frühstücksraum noch dünn besetzt – nur zu leicht Platz in meinem Dienstbereich.
    »Good morning, Miss Twentyman. Did you have a good rest?«
    »Very little rest, Armand, very little«, lispelte sie.
    Ich zeigte mich betrübt, das zu hören. »Aber dann«, sagte ich, »wäre es vielleicht weiser gewesen, noch ein wenig im Bett zu bleiben und dort Ihren Tee und Ihr Porridge zu haben, die ich Ihnen nun gleich bringen werde, die Sie aber, glaube ich, droben ungestörter würden genießen können. Es ist so ruhig und friedlich dort im Zimmer, in Ihrem Bett …« Was antwortete dieses Kind? »No, I prefer to suffer.«
    »But you are making me suffer, too«, erwiderte ich leise, in dem ich ihr auf der Karte die Marmelade zeigte, die sie nehmen sollte.
    »Oh, Armand, then we suffer together!« sagte sie und schlug ihre unausgeruhten Augen träumend zu mir auf.
    Was sollte daraus werden? Ich wünschte ihr herzlich die Abreise, aber die zog sich hin, und verständlich war es ja, daß Mr. Twentyman sich nicht durch eine Liebesgrille seines Töchterchens, von der er durchs schwarze Rohr gehört haben mochte, seinen Pariser Aufenthalt verkürzen lassen wollte. Miss Twentyman aber kam jeden Morgen, wenn ihre Eltern noch schliefen – sie schliefen bis zehn Uhr, so daß Eleanor, wenn ihre Mutter sich nach ihr umsah, vorgeben konnte, ihr Frühstücksgeschirr sei vom Zimmerkellner schon weggeräumt –, und ich hatte meine liebe Not mit ihr, vor allem damit, ihren Ruf zu schützen und ihren mißlichen Zustand, ihre Versuche, mir die Hand zu drücken und anderen berauschten Leichtsinn mehr, vor etwa Umsitzenden zu verbergen. Meinen Warnungen, daß die Eltern ihr doch eines Tages auf die Schliche kommen, ihr Frühstücksgeheimnis entdecken würden, blieb sie taub. Nein, Mrs. Twentyman schlief morgens am festesten, und wieviel lieber war sie ihr doch, wenn sie schlief, als wenn sie wach war und sie überwachte! Mummy liebte sie nicht, sie war nur scharf auf sie durch die Lorgnette. Daddy, der liebte sie, nahm aber ihr Herz nicht ernst, was Mummy immerhin tat, wenn auch im bösen, und Eleanor war geneigt, ihr das zugute zu halten. »For I love you!«
    Ich wollte das vorläufig nicht gehört haben. Als ich aber zu ihrer Bedienung wiederkam, sagte ich unterderhand und redete ihr zu:
    »Miss Eleanor, was Sie da vorhin fallenließen von ›love‹, das ist nur Einbildung und purer Nonsense. Ihr Daddy hat ganz recht, es nicht ernst zu nehmen, wenn Ihre Mummy auch wieder recht hat, es ernst zu nehmen, als Nonsense nämlich, und es Ihnen zu verwehren. Nehmen Sie doch, bitte, Sie selbst es nicht gar so ernst, zu Ihrem und meinem Leide, sondern suchen Sie ein wenig Spott dafür aufzubringen, – was ich nicht tue, gewiß nicht, weit entfernt davon, tun Sie es aber! Was soll es denn fruchten? Es ist ja ganz unnatürlich. Da sind Sie nun die Tochter eines so hoch zu Reichtum gekommenen Mannes wie Mr. Twentyman, der einige Wochen

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