Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
gewahr zu werden, daß das nicht gut für ihn war. Sein Wesen war von der melancholisch umflorten Freundlichkeit eines Mannes, der viel gelitten hat; und sollte die ein gut gearteter Mensch nicht erwidern, wie ich es zartsinnig-pfleglich bei seiner Bedienung tat? Es war aber nicht gut für ihn. Wenig zwar sah er mich an bei den kurzen Bemerkungen über das Wetter, das Menu, auf die sich anfangs beim Service unser Austausch beschränkte, – wie er überhaupt seine Augen wenig gebrauchte, sie zurückhielt und schonte, gerade als ob er besorgte, sich durch ihren Gebrauch in Ungelegenheiten zu stürzen. Eine Woche dauerte es, bis die Beziehungen zwischen uns sich lockerten und aus dem Rahmen eines rein Formellen und Konventionellen traten; bis ich mit einem Vergnügen, dem es an Besorgnis nicht fehlte, Anzeichen persönlicher Teilnahme an mir bei ihm wahrnahm, – eine Woche: das ist wohl das Minimum an Zeit, dessen eine Seele bedarf, um im täglich wiederholten Umgang mit einer fremden Erscheinung gewisse Veränderungen zu erfahren – besonders bei so sparsamem Gebrauch der Augen.
Nun fragte er, wie lange ich hier schon diente, fragte nach meiner Herkunft, meinem Alter, dessen zarte Ziffer er mit einem gerührt-achselzuckenden »Mon Dieu!« oder »Good heavens!« – er sprach ebensooft englisch wie französisch – zur Kenntnis nahm. Wenn ich also deutsch sei von Geburt, erkundigte er sich, warum ich dann den französischen Namen Armand trüge. Ich trüge ihn nicht, antwortete ich, ich führte ihn bloß, gemäß einer Verfügung von oben. In Wirklichkeit hieße ich Felix. »Ah, hübsch«, sagte er. »Wenn es nach mir ginge, würde Ihnen Ihr wirklicher Name zurückgegeben.« Und es stimmte nicht recht mit seiner überlegenen Stellung überein und gab mir den Eindruck leichter Unbalanciertheit, daß er die Mitteilung hinzufügte, sein eigener Taufname sei Nectan – welches nämlich der Name eines Königs der Pikten, der Urbevölkerung Schottlands, gewesen sei. Ich beantwortete dies zwar mit einer Mimik achtungsvollen Interesses, aber die Frage drängte sich auf, was ich damit anfangen sollte, daß er Nectan hieß. Es war mir nichts nütze, denn ich hatte ihn Mylord zu nennen und nicht Nectan.
Nach und nach erfuhr ich, daß er auf einem Schloß unweit der Stadt Aberdeen zu Hause sei, wo er allein mit einer älteren, leider kränklichen Schwester lebte, daß er außerdem aber ein Sommerhaus an einem der Seen der Highlands besitze, in einer Gegend, wo die Leute noch gälisch sprächen (er konnte es auch ein wenig), und wo es sehr schön und romantisch sei, die Berghänge jach und zerklüftet, die Luft mit würzigen Heidekrautdüften erfüllt. Übrigens sei es auch nahe Aberdeen sehr schön, die Stadt biete jedwede Unterhaltung für den, dem es darum zu tun sei, die Luft wehe kräftig und rein von der Nordsee. Ferner bekam ich zu wissen, daß er die Musik liebe und Orgel spiele. Im Hause am Bergsee zur Sommerzeit sei es freilich nur ein Harmonium. Für diese Eröffnungen, die nicht gesprächig-zusammenhängend, sondern unterderhand, hie und da, hingeworfen und fragmentarisch kamen und, mit Ausnahme etwa von »Nectan«, als übertriebene Mitteilsamkeit nicht auffallen konnten bei einem Alleinreisenden, der zum Plaudern niemanden hat als den Kellner, war die Gelegenheit am günstigsten, wenn das Lunch serviert war und der Lord, wie er mittags tun pflegte, seinen Kaffee nicht in der Halle nahm, sondern dazu, ägyptische Zigaretten rauchend, an seinem Tischchen in dem fast leeren Saale sitzen blieb. Von dem Kaffee nahm er stets mehrere Täßchen, hatte aber vorher weder etwas getrunken, noch irgend ausgiebig gegessen. Tatsächlich aß er fast nichts, und man mußte sich wundern, wie er bei dem, was er zu sich nahm, überhaupt bestehen konnte. Mit der Suppe zwar nahm er einen guten Anlauf: starke Consommé, Mockturtle- und Oxtail-Soup verschwanden rasch aus seinem Teller. Von sonst allem aber, was ich an guten Dingen ihm auflegte, kostete er nur einen oder zwei Bissen, zündete sich sofort wieder eine Zigarette an und ließ jedes Gericht fast unberührt wieder abtragen. Auf die Dauer konnte ich eine Bemerkung darüber nicht unterdrücken.
»Mais vous ne mangez rien, Mylord«, sagte ich bekümmert. »Le chef se formalisera, si vous dédaignez tous ses plats.«
»Was wollen Sie, es fehlt an Appetit«, antwortete er. »Es fehlt immer daran. Nahrungsaufnahme – ich habe eine ausgesprochene Abneigung
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