Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
ich sagte es schon: um darin von Zeit zu Zeit, gleichsam versuchs- und übungsweise ein höheres Leben zu führen, in einem eleganten Restaurant der Rue de Rivoli, der Avenue des Champs-Élysées oder in einem Hotel vom Range des meinigen, einem noch feineren womöglich, im Ritz, im Bristol, im Meurice zu speisen und etwa nachher in einem guten Teater, sei es einem dem gesprochenen Drama geweihten oder der Opéra Comique, der Großen Oper selbst einen Logenplatz einzunehmen. Es lief dies, wie man sieht, auf eine Art von Doppelleben hinaus, dessen Anmutigkeit darin bestand, daß es ungewiß blieb, in welcher Gestalt ich eigentlich ich selbst und in welcher ich nur verkleidet war: wenn ich als livrierter Commis de salle den Gästen des Saint James and Albany schmeichlerisch aufwartete, oder wenn ich als unbekannter Herr von Distinktion, der den Eindruck machte, sich ein Reitpferd zu halten, und gewiß, wenn er sein Diner eingenommen, noch mehrere exklusive Salons besuchen würde, mich bei Tische von Kellnern bedienen ließ, deren keiner, wie ich fand, mir in dieser meiner anderen Eigenschaft gleichkam. Verkleidet also war ich in jedem Fall, und die unmaskierte Wirklichkeit zwischen den beiden Erscheinungsformen, das Ich-selber-Sein, war nicht bestimmbar, weil tatsächlich nicht vorhanden. Ich will auch nicht sagen, daß ich einer der beiden Rollen, ich meine: der des Herrn von Distinktion, mit aller Bestimmtheit den Vorzug gegeben hätte: Ich bediente zu gut und erfolgreich, als daß ich mich unbedingt glücklicher hätte fühlen sollen, wenn ich der war, der sich bedienen ließ, – wozu übrigens ebensoviel natürlich-überzeugende Anlage gehört wie
zum anderen. Aber der Abend sollte kommen, der mich auf diese andere Anlage und Spielbegabung, diejenige zur Herrschaftlichkeit, entscheidend und auf freilich höchst beglückende, ja berauschende Art verwies.
Viertes Kapitel
E s war ein Juli-Abend noch vor dem Nationalfeiertag,
an welchem die Teatersaison endet, und im Genuß eines der Urlaube, die mir alle vierzehn Tage einmal von meinem Etablissement gegönnt waren, beschloß ich, wie schon ein paarmal vorher, auf der hübschen, gärtnerisch geschmückten Dachterrasse des ›Grand-Hôtel des Ambassadeurs‹ am Boulevard Saint Germain zu dinieren, von deren luftiger Höhe man über die Blumenkästen der Brüstung hinweg sich eines weiten Blicks über die Stadt, die Seine hin, einerseits auf die Place de la Concorde und den Madeleine-Tempel, andererseits auf das Wunderwerk der Weltausstellung von 889, den Eiffelturm, erfreute. Man fuhr dorthinauf im Lift über fünf oder sechs Stockwerke und hatte es kühl, umgeben von gedämpft konversierender guter Gesellschaft, deren Blicke jede Neugier vermieden und in die ich mich leichthin und ohne Tadel einfügte. Um die mit Schirmlämpchen versehenen Speisetische saßen in Korbfauteuils Frauen in hellen Kleidern und modisch umfangreichen, kühn geschwungenen Hutkreationen und schnurrbärtige Herren in korrekten Abendanzügen gleich mir, einige sogar im Frack. Über einen solchen verfügte ich freilich nicht, aber meine Eleganz genügte vollauf, und sorglos konnte ich mich an dem freien Tische niederlassen, den der hier amtierende Oberkellner mir anwies, und von dem er das zweite Couvert entfernen ließ. Über die angenehme Mahlzeit hinaus sah ich einem genußreichen Abend entgegen, denn in der Tasche hatte ich ein Billett für die Opéra Comique, wo man heute meine Lieblingsoper ›Faust‹, des verstorbenen Gounod melodienreiches Meisterwerk, gab. Ich hatte es schon einmal gehört und freute mich darauf, die lieblichen Eindrücke von damals aufzufrischen.
Das nun sollte nicht sein. Ganz anderes und für mein Leben Bedeutenderes behielt an diesem Abend das Schicksal mir vor.
Ich hatte eben dem zu mir geneigten Kellner an Hand des Menus meine Wünsche mitgeteilt und die Weinkarte gefordert, als meine Augen bei einem lässigen und absichtlich etwas müden Hingleiten über die Speisegesellschaft einem anderen Augenpaar begegneten, einem lustig anschlägigen, – den Augen des jungen Marquis de Venosta, der, gekleidet wie ich, in einiger Entfernung von mir, allein, an einem Einzeltischchen sein Mahl hielt. Begreiflicherweise erkannte ich ihn früher als er mich. Wie hätte es mir auch nicht leichter fallen sollen, meinen Augen zu trauen, als es ihm fallen mußte, zu glauben, daß er recht sähe. Nach kurzem Stirnrunzeln malte sich das heiterste
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