Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
bezeichnen. Bei allem Verlangen nach Liebesaustausch mit ihr eignete ihm nicht selten eine sinnende Kühle, eine Neigung zu abschätzender Betrachtung, die mich selbst in Erstaunen setzte. Ein Beispiel dafür ist der Gedanke, der mich zuweilen beschäftigte, wenn ich gerade, im Speisesaal oder in der Halle, die Hände mit der Serviette auf dem Rücken, einige Minuten müßig stand und die von den Blaufräcken umschwänzelte und verpflegte Hotel-Gesellschaft überblickte. Es war der Gedanke der Vertauschbarkeit. Den Anzug, die Aufmachung gewechselt , hätten sehr vielfach die Bedienenden ebensogut Herrschaft sein und hätte so mancher von denen, welche, die Zigarette im Mundwinkel, in den tiefen Korbstühlen sich rekelten – den Kellner abgeben können. Es war der reine Zufall, daß es sich umgekehrt verhielt – der Zufall des Reichtums; denn eine Aristokratie des Geldes ist eine vertauschbare Zufallsaristokratie.
Darum gelangen mir diese Gedankenexperimente öfters recht gut, wenn auch nicht immer, da ja erstens doch die Gewohnheit des Reichtums eine wenigstens oberflächliche Verfeinerung zeitigt, die mir das Spiel erschwerte, und zweitens in den polierten Pöbel der Hotel-Sozietät immer auch eigentliche, vom Gelde unabhängige, wenn auch mit Geld versehene Vornehmheit eingesprengt war. Zuweilen mußte ich geradezu mich selbst einsetzen und konnte niemanden sonst vom Kellner-Corps dazu brauchen, wenn der Rollentausch phantasieweise gelingen sollte: so in dem Fall eines wirklich angenehmen jungen Kavaliers von leichtem und sorglos-anmutigem Betragen, der, ohne im Hotel zu wohnen, nicht selten, ein- oder zweimal die Woche, bei uns zum Diner hospitierte, und zwar in meinem Rayon. Er hatte dann bei Machatschek, für dessen besondere Gunst er offenbar zu sorgen wußte, telephonisch ein einsitziges Tischchen bestellt, und jener pflegte mich im voraus mit den Augen auf das Gedeck hinzuweisen, indem er sagte:
»Le Marquis de Venosta. Attention.«
Auch mit mir stellte Venosta, der ungefähr meines Alters war, sich auf einen kordialen und ungezwungenen, beinahe freundschaftlichen Fuß. Ich sah ihn gern hereinkommen in seiner bequemen, unbekümmerten Manier, schob ihm den Stuhl zurecht, wenn Maître Machatschek das nicht etwa selber tat, und erwiderte mit der gebotenen Färbung von Ehrerbietung seine Frage nach meinem Ergehen.
»Et vous, monsieur le Marquis?«
»Comme ci – comme ça. – Ißt man leidlich bei Ihnen heute abend?«
»Comme ci – comme ça, – und das will sagen: sehr gut, genau wie in Ihrem Fall, monsieur le Marquis.«
»Farceur!« lachte er. »Sie wissen viel von meinem Wohlbefinden!«
Hübsch war er weiter nicht, wenn auch von eleganter Erscheinung, mit sehr feinen Händen und nett onduliertem braunem Haar. Aber er hatte zu dicke, gerötete Kinderbacken und kleine, verschmitzte Äuglein darüber, die mir übrigens gut gefielen und deren anschlägige Lustigkeit die Melancholie Lügen strafte, die er manchmal an den Tag zu legen liebte.
»Sie wissen viel von meinem Wohlbefinden, mon cher Armand, und haben leicht reden. Augenscheinlich sind Sie begabt für ihr Métier und also glücklich, während mir sehr zweifelhaft ist, ob ich Talent habe zu dem meinen.«
Er war nämlich Maler, studierte an der Académie des Beaux Arts und zeichnete Akt in dem Atelier seines Professors. Das und Weiteres ließ er mich wissen bei den abgerissenen kleinen Gesprächen, die zwischen uns stattfanden, während ich ihm sein Diner servierte, beim Vorlegen, beim Tellerwechseln, und die mit freundlichen Erkundigungen von seiner Seite nach meiner Herkunft, meinen Umständen begonnen hatten. Diese Fragen gaben Zeugnis von seinem Eindruck, daß ich nicht der erste beste war, und ich beantwortete sie unter Vermeidung von Einzelheiten, die diesen Eindruck hätten abschwächen können. Abwechselnd sprach er Deutsch und Französisch mit mir bei diesem zerstückelten Austausch. Das erstere konnte er gut, da seine Mutter, »ma pauvre mère«, von deutschem Adel war. Er war in Luxemburg zu Hause, wo seine Eltern, »mes pauvres parents«, in der Nähe der Hauptstadt ein parkumgebenes Stammschloß aus dem siebzehnten Jahrhundert bewohnten, das nach seiner Angabe ganz so aussah wie die englischen Castles, die auf den Tellern abgebildet waren, worauf ich ihm seine zwei Bratenschnitten und sein Stück Eisbombe legte. Sein Vater war Großherzoglicher Kammerherr »und all
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