Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
angelegene Beschäftigung, unter den Bildnissen meiner Vorfahren, als Photographien und Daguerreotypien, Medaillons und Schattenrissen, soweit diese Hilfsmittel nur immer reichten, mich forschend umzutun, um in ihren Physiognomien nach Vorbereitungen und Hinweisen auf meine Person zu suchen und festzustellen, wem unter ihnen ich etwa besonders zu Dank verpflichtet sein mochte. Allein meine Ausbeute war gering. Zwar fand ich unter Verwandten und Vorläufern väterlicher Seite manches in Zügen und Haltung, worin man solche Versuchsübungen der Natur hätte erblicken können (wie ich denn ja schon betonte, daß mein armer Vater selbst, trotz seiner Leibesfülle, mit den Grazien auf freundlichem Fuße stand). Im ganzen jedoch mußte ich mich überzeugen, daß ich meiner Herkunft nicht viel verdankte; und wenn ich nicht annehmen wollte, daß an einem unbestimmbaren Punkte der Geschichte meines Geschlechtes geheime Unregelmäßigkeiten untergelaufen seien, so daß ich irgendeinen Kavalier und großen Herrn unter meine natürlichen Stammväter zu zählen gehabt hätte: so war ich, um den Ursprung meiner Vorzüge zu ergründen, genötigt, in mein eigenes Innere hinabzusteigen. Wodurch denn wohl eigentlich und in der Hauptsache hatten die Worte des Geistlichen Rates so ungemeinen Eindruck auf mich gemacht? Ich weiß es noch heute so wohl zu sagen, wie ich mir schon damals sofort und an Ort und Stelle im klaren darüber war. Er hatte mich gelobt – und wofür? Für den angenehmen Klang meiner Stimme. Aber das war eine Eigenschaft oder Gabe, die nach üblicher Auffassung keineswegs mit einem Verdienst verbunden ist und die gemeinhin sowenig für lobenswert gilt, als man jemanden seines Schielauges, Blähhalses oder Klumpfußes halber zu schelten sich entschließen würde. Denn Lob oder Tadel gebührt nach der Meinung unserer bürgerlichen Welt nur dem Moralischen, nicht dem Natürlichen; dieses zu loben, würde ihr als ungerecht und leichtfertig erscheinen. Daß nun Stadtpfarrer Chateau es ganz einfach anders hielt, mutete mich wie etwas völlig Neues und Kühnes an, wie eine Äußerung bewußter und trotziger Unabhängigkeit, die zugleich etwas heidnisch Einfältiges an sich hatte und mich zu einem glücklichen Nachsinnen anregte. Ist es denn nicht, fragte ich mich, sehr
schwer, zwischen natürlichem und moralischem Verdienst strikt zu unterscheiden? Diese Porträts von Onkeln, Tanten und Großeltern lehrten mich ja, wie wenig von meinen Vorzügen mir auf dem Wege natürlicher Erbschaft zugekommen ist. Sollte ich wirklich an der Ausbildung dieser Vorzüge innerlich so ganz unbeteiligt gewesen sein? Oder versichert mich nicht vielmehr ein untrügliches Gefühl, daß sie bis zu einem bedeutenden Grade mein eigen Werk sind und daß ganz leicht meine Stimme gemein, mein Auge stumpf, meine Beine krumm hätten ausfallen können, wenn meine Seele nachlässiger gewesen wäre? Wer die Welt recht liebt, der bildet sich ihr gefällig. Ist aber das Natürliche eine Auswirkung des Moralischen, so war es weniger ungerecht und launisch, als es den Anschein haben mochte, daß der geistliche Herr mir des Wohllautes meiner Stimme wegen Lob gespendet hatte.
Drittes Kapitel
E inige wenige Tage, nachdem wir die sterblichen Reste
meines Vaters der Erde anvertraut hatten, traten wir Hinterbliebenen mit meinem Paten Schimmelpreester zu einer Beratung oder Familienkonferenz zusammen, zwecks welcher der genannte Freund sich in unserer Villa angesagt hatte. Zu Neujahr, so war uns bündig aufgegeben worden, hatten wir das Anwesen zu räumen, und so war es denn also zur unaufschiebbaren Notwen digkeit geworden, über unser künftiges Verbleiben ernste Entschlüsse zu fassen.
Nicht genugsam vermag ich an dieser Stelle den Rat und Beistand meines Paten zu rühmen und nicht dankbar genug zu erheben, wie dieser außerordentliche Geist für einen jeden von uns Pläne und Fingerzeige in Bereitschaft hatte, die sich in der Folge, namentlich in Absicht auf meine Person, als überaus glückliche und weittragende Eingebung erwiesen. Unser ehemaliger Salon, einst mit niedlicher Weichlichkeit ausstaffiert und so häufig von Lust und Festdunst erfüllt, jetzt kahl, geplündert und kaum noch möbliert, war der traurige Schauplatz dieser Zusammenkunft, und wir saßen in einem Winkel desselben auf Rohrstühlen mit Nußholzrahmen, die der Einrichtung des Speisezimmers angehörten, um ein grünes Tischchen herum, das eigentlich aus einer Garnitur von
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