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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Nacktheit nur insofern gerecht zu nennen sei, als sie die natürlich-ungerechte und adelsfreundliche Verfassung des Menschengeschlechtes bedeute. Frühe hatte ich dies empfunden, nämlich schon als mein Pate Schimmelpreester meine Gestalt zu höherer Bedeutung auf die Leinwand zauberte, oder wann sonst immer in Fällen, wo der Mensch, aus seinen Zufallsbedingungen gelöst, an und für sich hervortritt wie im öffentlichen Bade. Und so wandelte auch nunmehr Freude und lebhafter Stolz mich an, daß ich nicht im irreführenden Bettlerkleid, sondern in freier und eigentlicher Gestalt mich einem hohen Kollegium vorstellen sollte.
       Der Verschlag war an seiner Schmalseite offen gegen das Sitzungszimmer, und wenn seine Bretterwand mir den Blick auf den Schauplatz der Untersuchung verwehrte, so vermochte ich mit dem Ohr doch aufs genaueste ihren Verlauf zu verfolgen. Ich hörte die Befehlsworte, mit denen der Stabsarzt den Rekruten sich hin und her zu wenden und sich von allen Seiten zu zeigen aufforderte, hörte die knappen Fragen, die er ihm vorlegte, und die Antworten, die jener erteilte, linkische Redereien von einer Lungenentzündung, die jedoch ihren deutlich genug durchschimmernden Zweck verfehlten, da sie ihm durch das Zeugnis seiner unbedingten Tauglichkeit trocken abgeschnitten wurden. Das Verdikt ward von anderer Stimme wiederholt, weitere Verfügungen folgten, der Befehl zum Abtreten fiel, platschende Schritte näherten sich, und alsbald trat der Konskribierte bei mir ein: geringes Fleisch, wie ich sah, ein Bursche mit einem braunen Strich um den Hals, plumpen Schultern, gelben Flecken am Ansatz der Oberarme, groben Knien und großen roten Füßen. Ich vermied es, in der Enge mit ihm in Berührung zu kommen, und da im selben Augenblick von einer zugleich nasalen und scharfen Stimme mein Name genannt wurde, auch ein assistierender Unteroffizier winkend vor dem Kabinett erschien, so trat ich denn also hinter der Bretterwand hervor, wandte mich linker Hand und schritt in anständiger, doch anspruchsloser Haltung dorthin, wo Arzt und Kommission mich erwarteten.
    Man ist blind in einem solchen Augenblick, und nur in verschwommenen Umrissen trat die Szene vor mir in mein zugleich erregtes und betäubtes Bewußtsein: ein längerer Tisch schnitt schräg zur Rechten einen Winkel des Zimmers ab, und Herren, teils vorgebeugt, teils zurückgelehnt, in Uniform und Zivil, saßen in einer Reihe daran. An ihrem linken Flügel stand aufrecht der Arzt, sehr schattenhaft für meine Augen auch er, besonders, da er das Fenster im Rücken hatte. Ich aber, innerlich zurückgeschlagen von so vielen auf mich eindringenden Blicken, benommen vom Traumgefühl eines höchst bloßgestellten und preisgegebenen Zustandes, ich schien mir einzeln und jedem Verhältnis enthoben, namenlos, alterslos, frei und rein im leeren Raume zu schweben, eine Empfindung, die ich nicht nur als nicht unliebsam, sondern sogar als köstlich in meinem Gedächtnis bewahre. Mochten immerhin meine Fibern noch beben, meine Pulse bewegt und unregelmäßig schlagen, so war mein Geist nunmehr, wenn auch nicht nüchtern, so doch vollkommen ruhig, und was ich in der Folge sagte und tat, stellte sich gleichsam ohne mein Zutun und auf die natürlichste Weise, ja zu meiner eigenen augenblicklichen Überraschung ein: wie es ja denn der Nutzen langer Vorübungen und einer gewissenhaften Vertiefung ins Zukünftige ist, daß in der Stunde der Anwendung etwas Nachtwandlerisch-Mittleres zwischen Tun und Geschehen, Handeln und Leiden sich herstellt, welches unsere Aufmerksamkeit kaum in Anspruch nimmt, und zwar um so weniger, da die Wirklichkeit meistens geringere Anforderungen stellt, als wir ihr allenfalls zutrauen zu müssen glaubten, und wir uns dann wohl in der Lage eines Mannes befinden, der bis an die Zähne gerüstet in einen Kampf geht, worin er, um zu siegen, nur ein einziges Waffenstück leichthin zu handhaben braucht. Denn wer auf sich hält, übt das Schwerste, um sich im Leichteren desto fertiger zu bewähren, und ist froh, wenn er, um zu triumphieren, nur die zartesten, leisesten Mittel spielen zu lassen braucht, da er den groben und wilden ohnehin abhold ist und sich nur notfalls zu ihnen versteht.
       »Das ist ein Einjähriger«, hörte ich vom Kommissionstisch her eine tiefe und wohlwollende Stimme gleichsam erklärend sagen und vernahm gleich darauf mit leichtem Verdruß, wie eine andere, jene scharf näselnde nämlich, berichtigend feststellte, daß

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