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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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es auch jederzeit, wenn ich von unbedeutenden Schwankungen meines Befindens absehen darf, und fühle mich für alle Waffengattungen bestens geeignet.«
       »Schweigen Sie!« sagte er, plötzlich die Auskultation unterbrechend und aus seiner gebückten Stellung zornig in mein Gesicht emporblickend. »Lassen Sie Ihre Tauglichkeit meine Sache sein und reden Sie nichts Überflüssiges! – Sie reden fortgesetzt Überflüssiges!« wiederholte er, indem er, gleichsam abgelenkt, die Untersuchung fahrenließ, sich aufrichtete und etwas von mir zurücktrat. »Ihre Redeweise ist von einer gewissen Hemmungslosigkeit, die mir schon längst geradezu aufgefallen ist. Was ist eigentlich mit Ihnen? Welche Schulen haben Sie besucht?«
       »Ich durchlief sechs Klassen der Oberrealschule«, versetzte ich leise und anscheinend bekümmert darüber, daß ich ihn befremdet und bei ihm angestoßen hatte.
       »Und warum nicht die siebente?«
       Ich senkte das Haupt; und von unten herauf warf ich ihm einen Blick zu, der wohl sprechend gewesen sein und seinen Empfänger ins Innere getroffen haben mag. ›Warum quälst du mich?‹ fragte ich mit diesem Blick. ›Warum zwingst du mich zu reden? Siehest du, hörst und fühlst du denn nicht, daß ich ein feiner und besonderer Jüngling bin, der unter freundlich gesittetem Außenwesen tiefe Wunden verbirgt, welche das feindliche Leben ihm schlug? Ist es wohl zartfühlend von dir, daß du mich nötigst, vor so vielen und ansehnlichen Herren meine Scham zu entblößen!‹ So mein Blick; und, urteilender Leser, ich log keineswegs damit, wenn auch seine schmerzliche Klage in dieser Sekunde ein Werk der Absicht und bewußten Zielstrebigkeit war. Denn auf Lüge und Heuchelei muß freilich erkannt werden, wo eine Empfindung zu Unrecht nachgeahmt wird, weil ihren Anzeichen keinerlei Wahrheit und wirkliches Wissen entspricht, was denn Fratzenhaftigkeit und Stümperei notwendig zur kläglichen Folge haben wird. Sollten wir aber über den Ausdruck unserer teuren Erfahrung nicht zu beliebigem Zeitpunkt zweckmäßig verfügen dürfen? Rasch, traurig und vorwurfsvoll sprach mein Blick von früher Vertrautheit mit des Lebens Unbilden und Mißlichkeiten. Dann seufzte ich tief.»Antworten Sie!« sagte der Oberstabsarzt in milderem Ton.
    Ich kämpfte mit mir selbst, indem ich zögernd erwiderte:
    »Ich blieb in der Schule zurück und gedieh nicht zur Beendigung ihres Kurses, weil ein wiederkehrendes Unwohlsein mich öfter bettlägerig machte und damals häufig den Unterricht zu versäumen zwang. Auch glaubten die Herren Lehrer, mir Mangel an Aufmerksamkeit und Fleiß zum Vorwurf machen zu müssen, was mich sehr herabstimmte und entmutigte, da ich mir keiner Schuld und Nachlässigkeit in dieser Hinsicht bewußt war. Aber so oft geschah es, daß mir manches entgangen war und ich es nicht gehört oder vernommen hatte, sei es nun, daß es sich um besprochenen Lehrstoff oder um häusliche Aufgaben handelte, die man uns vorgeschrieben und deren Anfertigung ich versäumt hatte, weil ich nichts davon wußte, und zwar nicht, weil ich anderen und unstatthaften Gedanken nachgehangen hatte, sondern es war ganz, als sei ich überhaupt nicht zugegen gewesen, in der Klasse nicht gegenwärtig, als diese Weisungen ergangen waren, was auf Seiten der Vorgesetzten Anlaß zu Tadel und strengen Maßregeln, auf meiner eigenen aber zu großen …« Hier fand ich kein Wort mehr, verwirrte mich, schwieg und zuckte sonderbar mit den Schultern.
    »Halt!« sagte er. »Sind Sie denn schwerhörig? Gehen Sie dorthin weiter zurück! Wiederholen Sie, was ich sage!« Und nun begann er unter überaus lächerlichen Verrenkungen seines mageren Mundes und dünnen Bartes »Neunzehn, Siebenundzwanzig« und andere Zahlen sorgfältig zu flüstern, welche pünktlich und exakt zurückzugeben ich mich nicht verdrießen ließ; denn wie alle meine Sinne war auch mein Gehör nicht allein durchschnittsmäßig beschaffen, sondern sogar von besonderer Schärfe und Feinheit, und ich sah keinerlei Anlaß, ein Hehl daraus zu machen. So verstand und wiederholte ich denn die zusammengesetztesten Ziffern, die er nur hauchweise vorbrachte, und meine schöne Gabe schien ihn zu fesseln, denn er trieb den Versuch immer weiter, sandte mich in den entlegensten Winkel des Raumes, um mir über einen Abstand von sechs oder sieben Metern hinweg vierstellige Zahlen mehr zu verhehlen als mitzuteilen, und richtete gekniffenen Mundes nach dem Kommissionstisch

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