Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
bedeutende Blicke, wenn ich halbratend alles erfaßte und wiedergab, was er kaum über die Lippen zu lassen geglaubt hatte.
»Nun«, sagte er endlich mit gespielter Gleichgültigkeit, »Sie hören recht gut. Treten Sie wieder heran und sagen Sie uns einmal ganz genau, wie sich das Unwohlsein äußerte, das Sie zuweilen vom Schulbesuch abhielt.«
Gefällig kam ich herbei.
»Unser Hausarzt«, antwortete ich, »Sanitätsrat Düsing, pflegte es für eine Art Migräne zu erklären.«
»So, Sie hatten einen Hausarzt, Sanitätsrat war er? Und für Migräne erklärte er es! Nun, wie trat sie denn also auf, diese Migräne? Beschreiben Sie uns den Anfall! Stellten sich Kopfschmerzen ein?«
»Kopfschmerzen auch!« erwiderte ich überrascht, indem ich ihn achtungsvoll anblickte, »sowie ein Sausen in beiden Ohren und hauptsächlich eine große Not und Furcht oder vielmehr Verzagtheit des ganzen Körpers, welche endlich in heftige Würgekrämpfe übergeht, so daß es mich fast aus dem Bette schleudert …«
»Würgekrämpfe?« sagte er. »Andere Krämpfe nicht?« »Nein, andere gewiß nicht«, versicherte ich mit größter Bestimmtheit. »Aber Ohrensausen.« »Ohrensausen war allerdings vielfach dabei.«
»Und wann hat der Anfall sich eingestellt? Etwa wenn eine Erregung vorangegangen war? Bei besonderem Anlaß?«
»Wenn mir recht ist«, antwortete ich zögernd und mit suchendem Blick, »so erfolgte er in meiner Schulzeit manches Mal gerade dann, wenn ich in der Klasse einen solchen Anstand gehabt, nämlich ein Ärgernis von jener Art, wie ich sagte …«
»Daß Sie gewisse Dinge nicht gehört hatten, so, als
ob Sie nicht anwesend gewesen wären?«
»Ja, Herr Chefarzt.«
»Hm«, sagte er. »Und nun denken Sie einmal nach und sagen Sie uns gewissenhaft, ob Ihnen nicht irgendwelche Anzeichen aufgefallen sind, die einem solchen Zufall, daß Sie scheinbar nicht anwesend gewesen waren, vorhergingen und ihn regelmäßig ankündigten. Haben Sie keine Scheu! Überwinden Sie eine begreifliche Befangenheit und reden Sie frei, ob Sie dergleichen wohl gegebenen Falles beobachtet haben!«
Ich blickte ihn an, blickte ihm eine geraume Zeit unverwandt in die Augen, indem ich schwer, langsam und sozusagen in bitterer Nachdenklichkeit mit dem Kopfe nickte.
»Ja, mir ist oft sonderbar; sonderbar war und ist mir leider zeitweilig zu Sinn«, sprach ich endlich, leise und grüblerisch. »Manches Mal kommt es mir vor, als ob ich plötzlich in die Nähe eines Ofens und Feuers gerückt wäre, ganz so warm berührt es alsdann meine Glieder, anfangs die Beine, hierauf die höheren Teile, und eine Art von Kribbeln und Prickeln ist darin, worüber ich mich wundern muß, und um so mehr, als ich gleichzeitig Farbenspiele vor Augen habe, die sogar hübsch sind, aber mich dennoch erschrecken; und wenn ich nochmals auf das Prickeln zurückkommen darf, so könnte man es auch als Ameisenlaufen bezeichnen.«
»Hm. Und hierauf haben Sie dann verschiedenes nicht gehört.«
»Ja, so ist es, Herr Lazarettkommandant! Manches verstehe ich nicht an meiner Natur, und auch zu Hause bereitet sie mir Ungelegenheiten, denn zuweilen merke ich wohl, daß ich bei Tische unversehens meinen Löffel habe fallen lassen und das Tischtuch mit Suppe befleckt habe, und meine Mutter schilt mich hernach, daß ich herangewachsener Mensch in Gegenwart unserer Gäste – Bühnenkünstler und Gelehrte sind es hauptsächlich – mich so tölpelhaft aufführe.«
»So, den Löffel lassen Sie fallen! Und bemerken es erst ein bißchen später! Sagen Sie mal, haben Sie Ihrem Hausarzt, diesem Herrn Sanitätsrat oder welchen bürgerlichen Titel er nun führt, niemals etwas von diesen kleinen Unregelmäßigkeiten erzählt?«
Leise und niedergeschlagen verneinte ich seine Frage.
»Und warum nicht?« beharrte jener.
»Weil ich mich schämte«, antwortete ich stockend, »und es niemandem sagen mochte; denn mir war, als müsse es ein Geheimnis bleiben. Und dann hoffte ich auch im stillen, daß es sich mit der Zeit verlieren werde. Und nie hätte ich gedacht, daß ich zu jemandem so viel Vertrauen fassen könnte, um ihm einzubekennen, wie sehr sonderbar es mir oftmals ergeht.«
»Hm«, sagte er, und es zuckte spöttisch in seinem schüt teren Bart. »Denn Sie dachten wohl, daß man das alles schlechtweg für Migräne erklären würde. Sagten Sie nicht«, fuhr er fort, »daß Ihr Vater Schnapsbrenner war?« »Ja, das heißt, er besaß eine
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