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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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herrschende Schwüle, die meine Gefährten in ein nickendes Dösen lullte, durfte mich nicht erschlaffen; wach und bereit saß ich da und vermied es unwillkürlich, mich anzulehnen, indem ich mir die Umstände einzubilden suchte, unter denen ich mich zu bewähren haben würde, und die denn doch, einer alten Erfahrung gemäß, ganz anders sich darstellen würden, als ich sie mir im voraus nur immer auszudenken vermochte. Wenn übrigens meine Empfindungen ebensowohl furchtsamer als freudiger Art waren, so war es nicht, weil ich um den Ausgang ernstlich besorgt gewesen wäre. Dieser stand bei mir fest, und vollkommen entschlossen, bis zum Äußersten zu gehen, ja, wenn es nötig sein sollte, alle Grundkräfte des Leibes und der Seele daranzusetzen (ohne welche Bereitschaft es meiner Ansicht nach läppisch wäre, sich auf irgendeine außerordentliche Unternehmung einzulassen), zweifelte ich keinen Augenblick an meinem notwendigen Erfolge. Was mir Bangigkeit einflößte, war eben nur die Ungewißheit, wieviel ich hinzugeben, welche Opfer an Erregung und Begeisterung ich zu bringen haben würde, um zum Ziele zu gelangen, eine Art Zärtlichkeit also gegen mich selbst, die meinem Charakter von jeher anhaftete und ganz leicht zur Weichlichkeit und Feigheit hätte entarten können, wenn nicht männlichere Eigenschaften ihr berichtigend die Waage gehalten hätten.
       Noch sehe ich den niedrigen, doch weitläufigen Balkensaal vor Augen, in welchen soldatische Rauhigkeit mich wies, und den ich bei meinem bescheidenen Eintritt von einer großen Menge männlicher Jugend bevölkert vorfand. Im ersten Stockwerk einer baufälligen und verlassenen Kaserne gelegen, am Außenrande der Stadt, bot der freudlose Raum durch seine vier kahlen Fenster den Blick auf lehmige und von allerlei Wegwurf, Blechbüchsen, Schutt und Abfällen, verunzierte Vorstadtwiesen. Hinter einem gemeinen Küchentisch saß, Akten und Schreibzeug vor sich, ein schnauzbärtiger Unteroffizier oder Feldwebel und rief die Namen derjenigen auf, welche, um sich in natürlichen Zustand zu versetzen, durch eine flügellose Tür einen Verschlag betreten mußten, der von dem anstoßenden Zimmer, dem eigentlichen Schauplatz der Untersuchung, abgegliedert war. Das Gebaren jenes Chargierten war brutal und auf Einschüchterung berechnet, öfters streckte er, tierisch gähnend, Fäuste und Beine von sich oder machte sich über den edleren Bildungsgrad derer lustig, die er an Hand der Stammrolle zum entscheidenden Gang aufforderte. »Doktor der Philosophie!«, rief er und lachte höhnisch, als wollte er sagen: ›Dir werden wir’s austreiben, Freundchen!‹ Dies alles erregte Furcht und Abneigung in meinem Herzen.
    Das Aushebungsgeschäft war in vollem Gange, doch schritt es langsam vor, und da es alphabetisch betrieben wurde, hatten die, deren Namen mit späteren Buchstaben begannen, sich auf ein langes Warten gefaßt zu machen. Eine bedrückte Stille herrschte in der Versammlung, die sich aus Jünglingen der verschiedensten Stände zusammensetzte. Man sah hilflose Bauerntölpel und aufsässig gestimmte junge Vertreter des städtischen Proletariats; halbfeine Kaufmannsgehilfen und schlichte Söhne des Handwerks; einen Angehörigen des Schauspielerstandes sogar, welcher durch fette und dunkle Erscheinung viel verstohlene Heiterkeit erregte; hohläugige Burschen unbestimmbaren Berufes, ohne Halskragen und mit zersprungenen Lackstiefeln; Muttersöhnchen, eben der Lateinschule entwachsen, und an Jahren vorgeschrittene Herren, schon mit Spitzbärten, bleich und von der zarten Haltung des Gelehrten, welche im Gefühl ihrer unwürdigen Lage unruhig und peinlich gespannt den Saal durchmaßen. Drei oder vier der Gestellungspflichtigen, deren Namen sogleich an der Reihe sein würden, standen, schon bis aufs Hemd entblößt, ihre Kleider über dem Arm, Stiefel und Hut in der Hand, barfüßig in der Nähe der Tür. Wieder andere saßen auf den schmalen Bänken, welche den Raum umliefen, oder mit einem Schenkel auch wohl auf den Fensterbrettern, hatten Bekanntschaft gemacht und tauschten halblaut Bemerkungen über ihre Körperbeschaffenheit und die Wechselfälle der Aushebung. Manchmal, niemand wußte auf welchem Wege, drangen Gerüchte aus dem Sitzungssaal herein, daß die Zahl der als tauglich Ausgehobenen schon sehr groß und die Glücksaussicht der noch nicht Untersuchten also im Wachsen sei, Botschaften, die nachzuprüfen niemand imstande war. Scherze, derbe Spöttereien über die

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