Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Gestellungspflichtige«, erklärte er mit dünnem Meckern, »leidet an epileptoiden Zufällen, sogenannten Äquivalenten, die hinreichen, seine Diensttauglichkeit unbedingt auszuschließen. Meiner Exploration zufolge liegt erbliche Belastung von Seiten eines trunksüchtigen Vaters vor, der nach seinem wirtschaftlichen Zusammenbruch durch Selbstmord endete. Die Erscheinungen der sogenannten Aura waren in den freilich unbeholfenen Schilderungen des Patienten unverkennbar. Ferner stellen sich jene schweren Unlustgefühle, die ihn, wie wir hörten, zuweilen bettlägerig machen und welche der Herr Kollege vom Zivil« (hier zeigte sich wieder ein hölzerner Spott um seine mageren Lippen) »im Sinne der sogenannten Migräne auslegen zu sollen glaubte, wissenschaftlich als Depressionszustände nach vorausgegangenem Anfall dar. Außerordentlich bezeichnend für die Natur des Leidens ist die Verschwiegenheit, die der Patient über seine Erfahrungen beobachtete; denn bei offenbar mitteilsamem Charakter hielt er sie geheim gegen jedermann, wie wir hörten. Es ist bemerkenswert, daß noch heute im Bewußtsein vieler Epileptiker etwas von der mystisch-religiösen Auffassung lebendig scheint, die das Altertum von dieser Nervenkrankheit hegte. Hierher kam der Gestellungspflichtige in aufgeregter und gespannter Verfassung. Schon seine exaltierte Redeweise machte mich stutzig. Auf nervöse Konstitution deutete sodann die äußerst unregelmäßige, wenn auch organisch tadellose Herztätigkeit und das habi tuelle Schulterzucken, das, wie es scheint, unbeherrschbar ist. Als besonders fesselndes Symptom möchte ich die geradezu erstaunliche Überfeinerung des Gehörsinnes ansprechen, die der Patient bei weiterer Untersuchung an den Tag legte. Ich stehe nicht an, diese übernormale Sinnesverschärfung mit dem beobachteten, ziemlich schweren Anfall in Zusammenhang zu bringen, der sich vielleicht seit Stunden vorbereitete und durch die Erregung, in welche den Patienten meine ihm unliebsamen Fragen versetzten, unmittelbar ausgelöst wurde. Ich empfehle Ihnen« – schloß er seine klare und gelehrte Übersicht, indem er sich lässig und von oben herab wieder zu mir wandte –, »sich in die Behandlung eines verständigen Arztes zu begeben. Sie sind ausgemustert.«
       »Ausgemustert«, wiederholte die scharf näselnde Stimme, die ich kannte.
       Entgeistert stand ich und regte mich nicht vom Fleck.
       »Sie sind militärfrei und können gehen«, ließ sich nicht ohne Beimischung von Teilnahme und Wohlwollen jene Baßstimme hören, deren Besitzer mich feinsinnigerweise für einen Einjährigen gehalten hatte.
       Da erhob ich mich auf die Zehenspitzen und sagte mit flehend emporgezogenen Brauen:
       »Könnte denn nicht ein Versuch gemacht werden? Wäre es nicht möglich, daß das Soldatenleben meine Gesundheit kräftigte?«
       Einige Herren am Kommissionstische lachten mit den Schultern, und der Oberstabsarzt blieb hart und unerbittlich.
       »Ich wiederhole Ihnen«, warf er mir unhöflich vor die Füße hin, »daß die Kaserne keine Heilanstalt ist. Weggetreten!« meckerte er.
       »Weggetreten!« wiederholte die scharf näselnde Stimme, und ein neuer Name ward aufgerufen. »Latte« lautete er, wie ich mich erinnere, denn nun war der Buchstabe L an der Reihe, und ein Strolch mit struppiger Brust erschien auf dem Plan. Ich aber verbeugte mich, ich zog mich in den Verschlag zurück, und während ich meine Kleider anlegte, leistete der assistierende Unteroffizier mir Gesellschaft.
       Froh zwar, doch ernst gestimmt und ermattet durch so extreme und kaum noch im Bereiche des Menschlichen liegende Erfahrungen, denen ich mich leistend und leidend hingegeben; nachdenklich noch besonders über die bedeutenden Äußerungen, welche der Oberstabsarzt über das frühere Ansehen jener geheimnisvollen Krankheit getan hatte, als deren Träger er mich betrachten durfte, achtete ich kaum auf das vertrauliche Geschwätz, das der billig betreßte Unterbefehlshaber mit dem gewässerten Haar und dem aufgezwirbelten Schnurrbärtchen an mich richtete und erst später erinnerte ich mich an seine einfachen Worte.
       »Schade«, sagte er, indem er mir zusah; »schade um Sie, Krull, oder wie Sie sich schreiben! Sie sind ein properer Kerl, Sie hätten es zu was bringen können beim Militär. Das sieht man jedem gleich an, ob er es zu was bringen kann bei uns. Schade um Sie; Sie haben das Zeug auf den ersten Blick, Sie gäben gewiß

Weitere Kostenlose Bücher