Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Wollust, entmenschter Qual und zähnefletschender Tollwut schlechterdings nicht von dieser Welt gewesen wären, wo unsere irdischen Leidenschaften in ungeheuere Verhältnisse ausgeweitet sich schauderhaft wiederfinden. Ist es aber nicht so, daß Affekte, wovon wir die Miene annehmen, sich ahnungsweise und schattenhaft wahrhaftig in unserer Seele herstellen? Mein übriger Körper verhielt sich inzwischen nicht ruhend, obgleich ich aufrecht an meiner Stelle blieb. Mein Kopf rollte umher und drehte sich mehrmals fast ins Genick, nicht anders, als sei der Leibhaftige im Begriff, mir den Hals zu brechen; meine Schultern und Arme schienen aus den Gelenken gewunden zu werden, meine Hüften verbogen sich, meine Knie kehrten sich gegeneinander, mein Bauch höhlte sich aus, indes meine Rippen die Haut zersprengen zu wollen schienen; meine Zehen verkrampften sich, kein Fingerglied, das nicht phantastisch und klauenhaft verbogen gewesen wäre, und so, gleichsam auf eine höllische Folter gespannt, verharrte ich etwa zwei Dritteile einer Minute.
Ich war ohne Besinnung während dieses unter so harten Bedingungen überaus langwierigen Zeitraumes, zum wenigsten ohne Erinnerung an meine Umgebung und Zuschauerschaft, welche mir gegenwärtig zu halten die Strenge meines Zustandes mich völlig hinderte. Rauhe Zurufe drangen wie aus weiter Ferne an mein Ohr, ohne daß ich in der Lage gewesen wäre, ihnen Gehör zu schenken. Auf einem Stuhle mich wiederfindend, welchen der Oberstabsarzt unter mich zu schieben sich beeilt hatte, verschluckte ich mich heftig mit einigem wärmlich abgestandenen Leitungswasser, das dieser uniformierte Gelehrte mir einzuflößen bemüht war. Mehrere Kommissionsherren waren aufgesprungen und standen mit verstörten, empörten, auch angewiderten Gesichtern über den grünen Tisch gebeugt. Andere legten auf sanftere Art ihre Bestürzung über die gehabten Eindrücke an den Tag. Ich sah einen, der beide geschlossenen Hände an die Ohren gepreßt hielt und, wahrscheinlich vermöge einer Art von Ansteckung, sein eigenes Gesicht zur Grimasse verzogen hatte; einen anderen, der zwei Finger seiner Rechten gegen die Lippen drückte und außerordentlich geschwind mit den Lidern blinzelte. Was aber mich selbst betrifft, so hatte ich nicht so bald mit wiederhergestellter, wenn auch in natürlichem Grade erschrockener Miene um mich geblickt, als ich mich beeilte, eine Szene zu beendigen, die mir nicht ziemlich scheinen konnte, mich rasch und verwirrt vom Stuhle erhob und neben ihm militärische Haltung annahm, die freilich mit meiner rein menschlichen Verfassung wenig übereinstimmen wollte.
Der Oberstabsarzt war zurückgetreten, noch immer das Wasserglas in der Hand.
»Sind Sie bei Sinnen?« fragte er mit einer Mischung von Ärgerlichkeit und Teilnahme in der Stimme … »Zu Befehl, Herr Kriegsarzt«, erwiderte ich in dienstfertigem Tone.
»Und bewahren Sie eine Erinnerung an das eben Durchlebte?«
»Ich bitte«, war meine Erwiderung, »gehorsamst um Vergebung. Ich war einen Augenblick etwas zerstreut.«
Kurzes, gewissermaßen bitteres Lachen antwortete mir vom Sitzungstische her. Man wiederholte murmelnd das Wort »zerstreut«.
»Sie schienen allerdings nicht ganz bei der Sache zu sein«, sagte der Oberstabsarzt trocken. »Hatten Sie sich in erregtem Zustande hier eingefunden? Erwarteten Sie die Entscheidung über Ihre Dienstfähigkeit mit besonderer Spannung?«
»Ich gebe zu«, antwortete ich hierauf, »daß es mir eine große Enttäuschung gewesen wäre, abgewiesen zu werden, und ich wüßte nicht, wie ich meiner Mutter mit einem solchen Bescheid unter die Augen treten sollte. Sie sah früher zahlreiche Angehörige des Offizierskorps in ihrem Hause und bringt der Heeresorganisation die wärmste Bewunderung entgegen. Deswegen liegt es ihr besonders am Herzen, daß ich zum Dienste herangezogen werde, und sie verspricht sich davon nicht nur bedeutende Vorteile für meine Bildung, sondern namentlich auch eine wünschenswerte Kräftigung meiner zuweilen schwankenden Gesundheit.«
Er schien meine Worte zu verachten und keines Eingehens für würdig zu halten.
»Ausgemustert«, sagte er, indem er das Wasserglas auf das Tischchen stellte, dorthin, wo auch sein Handwerkszeug, Meterband, Hörrohr und Hämmerchen, lagen. »Die Kaserne ist keine Heilanstalt«, warf er noch über die Schulter gegen mich hin und wandte sich dann zu den Herren am Kommissionstisch.
»Der
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