Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
grünen Likör abgezählt auf die Marmorplatte legte, erhob sie sich und ging mit weichen Tritten zur Türe.
Ich folgte ihr ungesäumt. Schneebrei verunreinigte das Trottoir, Regen trieb schräg herab, und große, mißgestaltete Flocken, die er mit sich führte, ließen sich wie weiche, nasse Tiere auf Schultern, Gesicht und Ärmeln nieder. So war ich es wohl zufrieden, daß die fremde Braut einer vorüberwackelnden Droschke winkte. Sie nannte dem Lenker gebrochenen Tonfalles ihr Quartier, das in einer mir unbekannten Straße gelegen war, sie schlüpfte ein, und den klappernden Schlag hinter mir zuziehend, ließ ich mich neben ihr auf dem schäbigen Kissen nieder.
Erst jetzt, da das Nachtgefährt sich wieder in trottendes Rollen gesetzt hatte, begann unser Gespräch, – das einzuschalten ich Anstand nehme, da ich billig genug denke, um einzusehen, daß seine Freiheit sich der gesellig mitteilenden Feder versagt. Es entbehrte der Einleitung, dieses Gespräch, es entbehrte jeder höflichen Umständlichkeit; von allem Anfang an und durchaus eignete ihm die unbedingte, enthobene und entbundene Unverantwortlichkeit, die sonst nur dem Traum eigentümlich ist, wo unser Ich mit Schatten ohne gültiges Eigenleben, mit Erzeugnissen seiner selbst verkehrt, wie sie jedoch im wachen Dasein, worin ein Fleisch und Blut wirklich getrennt gegen das andere steht, eigentlich nicht stattfinden kann. Hier fand sie statt, und gern gestehe ich, daß ich in tiefster Seele angesprochen war von der berauschenden Seltsamkeit des Vorkommnisses. Wir waren nicht allein und doch weniger als zwei; denn wenn Zweiheit sonst sogleich einen gesellschaftlichen und gebundenen Zustand schafft, so konnte davon hier nicht die Rede sein. Die Vertraute hatte eine Art, ihr Bein über meines zu legen, als kreuze sie nur ihre eigenen; alles, was sie sagte und tat, war wundersam ungehemmt, kühn und fessellos, wie Gedanken der Einsamkeit es sind, und mit freudiger Leichtigkeit tat ich’s ihr gleich.
Knapp zusammengefaßt, lief unser Austausch auf die Bekundung des lebhaften Gefallens hinaus, das wir sogleich aneinander gefunden, auf die Erforschung, Erörterung, Zergliederung dieses Gefallens sowie auf die Abrede, es auf alle Weise zu pflegen, auszubilden und nutzbar zu machen. Ihrerseits spendete die Gefährtin mir manchen Lobspruch, der mich von weitem an gewisse Äußerungen jenes weisen Klerikers, des Geistlichen Rates daheim, erinnerte; nur daß die ihren zugleich allgemeiner und entschiedener waren. Denn auf den ersten Blick, so versicherte sie, erkenne der Kundige, daß ich zum Liebesdienste geschaffen und ausgezeichnet sei, ja mir selbst und der Welt viel Lust und Freude bereiten würde, wenn ich einem so präzisen Berufe Folge leistete und mein Leben gänzlich auf diesem Grunde errichten würde. Sie aber wolle meine Lehrmeisterin sein und mich in eine gründliche Schule nehmen; denn es sei deutlich, daß meine Gaben der Anleitung von fertiger Hand noch bedürften … Dies entnahm ich ihren Äußerungen, aber nur ungefähr, denn in Übereinstimmung mit ihrer fremden Erscheinung sprach sie gebrochen und fehlerhaft, ja konnte eigentlich überhaupt kein Deutsch, so daß ihre Worte und Wortfügungen oft ganz verkehrt waren und sonderbar ins Unsinnige entglitten, was die Traumhaftigkeit des Zusammenseins sehr erhöhte. Namentlich aber und besonders ist anzumerken, daß ihr Verhalten bar jeder leichtfertigen Heiterkeit war; sondern unter allen Umständen – und wie seltsam waren die Umstände zuweilen – bewahrte sie strengen, fast finsteren Ernst – jetzt und während der ganzen Dauer unseres Umgangs.
Als nun nach langem Geklapper der Wagen hielt, stiegen wir aus, und die Freundin entlohnte den Kutscher. Dann ging es aufwärts in einem dunklen und kalten Stiegenschacht, wo es nach Lampenblak roch, und die Führerin öffnete mir ihr gleich an der Treppe gelegenes Zimmer. Hier war es plötzlich sehr warm: der Geruch des stark überheizten eisernen Ofens mischte sich mit den dichten und blumigen Düften von Schönheitsmitteln, und ein tiefrot gedämpftes Licht entfloß der angezündeten Ampel. Eine verhältnismäßige Pracht umgab mich, denn auf plüschbeschlagenen Tischchen standen in farbigen Vasen trockene Sträuße, welche aus Palmenwedeln, Papierblumen und Pfauenfedern verfertigt waren; weiche Felle lagen umher; ein Himmelbett mit Vorhängen aus rotem, mit goldener Litze besetztem Wollstoff beherrschte das Zimmer, und an
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