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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Dies ist meine Denkungsart; andere mögen anders urteilen – über Bekenntnisse, bei denen immerhin in Anschlag zu bringen ist, daß ich sie freiwillig ablege und nach Belieben mit ihnen hinter dem Berge halten könnte.
    Wenn ich aber dies Zwischenspiel hier mit so viel Umständlichkeit, als der gute Ton immer zuläßt, behandle, so darum, weil es meiner Einsicht nach für meine Ausbildung von der einschneidendsten Bedeutung war: nicht in dem Sinne, daß es meine äußere Weitläufigkeit sonderlich gefördert, meine bürgerlichen Sitten unmittelbar verfeinert hätte, – dazu war jene wilde Blüte des Ostens keineswegs die geeignete Persönlichkeit. Und doch beansprucht das Wort »Verfeinerung« hier seinen Platz, den ich nur gegen besseres Wissen ihm vorenthalten würde. Denn kein anderes bietet der Wortschatz für den Gewinn, den meine Natur aus dem Umgang mit dieser strengen Geliebten und Meisterin zog, deren Ansprüche sich aufs ernsteste mit meinen Gaben maßen. Und zwar ist hier nicht sowohl an eine Verfeinerung in der Liebe, als an eine solche durch die Liebe zu denken. Diese Betonungen sind wohl zu verstehen, denn sie verweisen auf den Unterschied und zugleich die Verquickung von Mittel und Zweck, wobei jenem eine engere und speziellere, diesem eine viel allgemeinere Bedeutung zukommt. Irgendwo auf diesen Blättern habe ich vorvermerkt, daß es mir bei den außerordentlichen Forderungen, die das Leben an meine Spannkraft stellte, nicht erlaubt war, mich in
entnervender Wollust zu verausgaben. Nun denn, während der halbjährigen Lebensperiode, die durch den Namen der wenig artikulierten, aber kühnen Rozsa gekennzeichnet ist, tat ich eben dies, – nur daß das Tadelswort »entnervend« einem sanitären Vokabular entstammt, um dessen Anwendbarkeit es in gewissen distinguierten Fällen recht zweifelhaft bestellt ist. Denn das Entnervende ist es, was uns benervt und uns, gewisse Vorbedingungen als gegeben angenommen, tauglich macht zu Darbietungen und Weltergötzungen, die nicht die Sache des Unbenervten sind. Nicht wenig tue ich mir zugute auf die Erfindung dieses Wortes »Benervung«, mit dem ich ganz aus dem Stegreif den Wortschatz bereichere, um es dem tugendhaft absprechenden »entnervend« wissentlich entgegenzustellen. Denn ich weiß bis in den Grund meines Systems hinab, daß ich die Stückchen meines Lebens nicht mit soviel Feinheit und Eleganz hätte vollführen können, ohne durch Rozsa’s schlimme Liebesschule gegangen zu sein.

    Siebentes Kapitel

    A ls nun zu Michaeli in den mit Bäumen bepflanzten
         Straßen der Herbst die Blätter löste, war für mich der Augenblick gekommen, die mir durch die Weltverbindungen meines Paten Schimmelpreester bereitete Stellung anzutreten, und eines heiteren Morgens, nach freundlichem Abschied von meiner Mutter, deren Pensions betrieb sich, unter Zuziehung einer Magd, einer gewissen bescheidenen Blüte erfreute, trugen eilende Räder den Jüngling und seine wenige, in einem Köfferchen verstaute Habe seinem neuen Lebensziel, – keinem geringeren als der französischen Hauptstadt, entgegen.
       Sie hasteten, ratterten und stolperten, diese Räder, unter einem aus mehreren ineinandergehenden Abteilen bestehenden Waggon dritter Klasse mit gelben Holzbänken, auf denen eine ungleich verteilte Anzahl bis zum Trübsinn belangloser Mitreisender geringen Schlages während des ganzen Tages ihr Wesen trieben, schnarchten, schmatzten, schwatzten und Karten spielten. Am meisten Herzensanteil noch erweckten mir einige Kinder von zwei bis vier Jahren, obgleich sie zeitweise plärrten, ja brüllten. Ich beschenkte sie aus einer Tüte mit billigen Creme-Hütchen, die die Mutter meiner Zehrung hinzugefügt; denn gern habe ich immer mitgeteilt und später mit den Schätzen, die aus den Händen der Reichen in meine übergingen, so manches Gute getan. Wiederholt kamen diese Kleinen denn auch zu mir getrippelt, legten die klebrigen Händchen an mich und lallten mir etwas vor, was ich ihnen, merkwürdigerweise zu ihrer großen Ergötzung, ganz ebenso erwiderte. Dieser Umgang trug mir von den Erwachsenen, trotz aller gegen sie geübten Zurückhaltung, einen und den anderen wohlwollenden Blick ein – ohne daß es mir eben darum zu tun gewesen wäre. Vielmehr lehrte diese Tagesfahrt mich wieder, daß, je empfänglicher Seele und Sinn geschaffen sind für Menschenreiz, sie in desto tieferen Mißmut gestürzt werden durch den Anblick menschlichen Kroppzeugs. Sehr wohl

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