Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
weiß ich, daß diese Leute nichts können für ihre Häßlichkeit; daß sie ihre kleinen Freuden und oft schweren Sorgen haben, kurz, kreatürlich lieben, leiden und am Leben tragen. Unter dem sittlichen Gesichtspunkt hat zweifellos jeder von ihnen Anspruch auf Teilnahme. Ein so durstiger wie verletzlicher Schönheitssinn jedoch, den die Natur in mich gelegt, zwingt meine Augen, sich von ihnen abzuwenden. Nur in zartestem Alter sind sie erträglich, wie die Kindlein, die ich traktierte und durch ihre eigene Redeweise zu herzlichem Lachen brachte, so der Leutseligkeit meinen Zoll entrichtend.
Übrigens will ich, gewissermaßen auch zur Beruhigung des Lesers, hier einflechten, daß dies für immer das letzte Mal war, daß ich dritter Klasse, als Fahrtgenosse der Unerquicklichkeit reiste. Das, was man Schicksal nennt und was im Grunde wir selber sind, fand, nach unbekannten, aber unfehlbaren Gesetzen wirkend, binnen kurzem Mittel und Wege, zu verhindern, daß es jemals wieder geschah.
Meine Fahrkarte, versteht sich, war in bester Ordnung, und ich genoß es auf eigene Art, daß sie so einwandfrei in Ordnung – daß folglich ich selbst so einwandfrei in Ordnung war und daß die wackeren, in derbe Mäntel gekleideten Schaffner, die mich im Lauf des Tages in meinem hölzernen Winkel besuchten, den Ausweis nachprüften und ihn mit ihrer Zwickzange lochten, ihn mir stets mit stummer dienstlicher Befriedigung zurückreichten. Stumm allerdings und ohne Ausdruck, das heißt: mit dem Ausdruck beinahe erstorbener und bis zur Affektation gehender Gleichgültigkeit, der mir nun wieder Gedanken eingab über die jede Neugier ausschaltende Fremdheit, mit welcher der Mitmensch, besonders der beamtete, dem Mitmenschen glaubt begegnen zu sollen. Der brave Mann da, der meine legitime Karte zwickte, gewann damit seinen Lebensunterhalt; irgendwo wartete seiner ein Heim, ein Ehering saß ihm am Finger, er hatte Weib und Kinder. Aber ich mußte mich stellen, als ob mir der Gedanke an seine menschlichen Bewandtnisse völlig fernliege, und jede Erkundigung danach, die verraten hätte, daß ich ihn nicht nur als dienstliche Marionette betrachtete, wäre höchst unangebracht gewesen. Umgekehrt hatte auch ich meinen besonderen Lebenshintergrund, nach dem er sich und mich hätte fragen mögen, was ihm aber teils nicht zukam, teils unter seiner Würde war. Die Richtigkeit meines Fahrscheins war alles, was ihn anging von meiner ebenfalls marionettenhaften Passagierperson, und was aus mir wurde, wenn dieser Schein abgelaufen und mir abgenommen war, darüber hatte er toten Auges hinwegzublicken. Etwas seltsam Unnatürliches und eigentlich Künstliches liegt ja in diesem Gebaren, obgleich man zugeben muß, daß es fortwährend und nach allen Seiten zu weit führen würde, davon abzuweichen, ja daß schon leichte Durchbrechungen meist Verlegenheit zeitigen. Tatsächlich gab mir gegen Abend einer der Beamten, eine Laterne am Gürtel, meine Karte mit einem längeren Blick auf mich und einem Lächeln zurück, das offenbar meiner Jugend galt.
»Nach Paris?« fragte er, obgleich mein Reiseziel ja klar und deutlich war.
»Ja, Herr Inspektor«, antwortete ich und nickte ihm herzlich zu. »Dahin geht es mit mir.«
»Was wollen Sie denn da?« getraute er sich weiter zu fragen.
»Ja, denken Sie«, erwiderte ich, »auf Grund von
Empfehlungen soll ich mich dort im Hotel-Gewerbe
betätigen.«
»Schau, schau!« sagte er. »Na, viel Glück!«
»Viel Glück auch Ihnen, Herr Oberkontrolleur«, gab ich zurück. »Und bitte, grüßen Sie Ihre Frau und die Kinder!«
»Ja, danke – nanu!« lachte er bestürzt, in sonderbarer Wortverbindung, und beeilte sich weiterzukommen, strauchelte und stolperte aber etwas dabei, obgleich am Boden gar kein Anstoß vorhanden war; so sehr hatte die Menschlichkeit ihn aus dem Tritt gebracht. – Auch an der Grenzstation, wo wir alle mit unserem Gepäck den Zug zu verlassen hatten, bei der Zollrevision oder Douane also, fühlte ich mich sehr heiter, leicht und reinen Herzens, da wirklich mein Köfferchen nichts enthielt, was ich vor den Augen der Visitatoren hätte verbergen müssen; und auch die Nötigung zu sehr langem Warten (da begreiflicherweise die Beamten den vornehmen Reisenden den Vorzug geben vor den geringeren, deren Habseligkeiten sie dann desto gründlicher herausreißen und durcheinanderwerfen) vermochte die Klarheit meiner Stimmung nicht zu trüben. Auch fing ich mit dem Manne, vor dem ich endlich meine
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