Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul
Spiegeln war großer Reichtum, denn es fanden sich solche sogar an Stellen, wo man keine zu suchen gewohnt ist: in dem Himmel des Bettes und in der Wand ihm zur Seite. – Da wir nun aber Verlangen trugen, uns ganz zu erkennen, schritten wir gleich zum Werk, und ich verweilte bei ihr bis zum anderen Morgen.
Rozsa, so hieß meine Gegenspielerin, war aus Ungarn gebürtig, doch ungewissester Herkunft; denn ihre Mutter war in einem Wandercirkus durch Reifen, mit Seidenpapier bespannt, gesprungen, und wer ihr Vater gewesen, lag völlig im Dunkel. Früh hatte sie stärksten Hang zu grenzenloser Galanterie gezeigt und war, noch jung, doch nicht ohne ihr Einverständnis, nach Budapest in ein Freudenhaus verschleppt worden, wo sie mehrere Jahre verbrachte, die Hauptanziehung der Anstalt. Aber ein Kaufmann aus Wien, der glaubte, nicht ohne sie leben zu können, hatte sie unter Aufbietung großer List und sogar mit Beihilfe eines Verbandes zur Bekämpfung des Mädchenhandels aus dem Zwinger entführt und bei sich angesiedelt. Älter schon und zum Schlagfluß geneigt, hatte er sich ihres Besitzes im Übermaße erfreut und in ihren Armen unvermutet den Geist aufgegeben, so daß Rozsa sich auf ledigem Fuße gefunden hatte. Von ihren Künsten hatte sie wechselnd in mancherlei Städten gelebt und sich kürzlich in Frankfurt niedergelassen, wo sie, von bloß erwerbender Hingabe keineswegs ausgefüllt und befriedigt, feste Beziehungen zu einem Menschen eingegangen war, welcher – Metzgergesell ursprünglich, aber ausgestattet mit kühnen Lebenskräften und von bösartiger Männlichkeit – Zuhälterei, Erpressung und allerlei Menschenfang zum Berufe erwählt und sich zu Rozsa’s Gebieter aufgeworfen hatte, deren Glücksgeschäft seine vornehmste Einnahmequelle bildete. Wegen irgendwelcher Bluttat jedoch gefänglich eingezogen, hatte er sie auf längere Zeit sich selbst überlassen müssen, und da sie nicht gewillt war, auf ihr privates Glück zu verzichten, hatte sie ihre Augen auf mich geworfen und den stillen, noch unausgebildeten Jüngling sich zum Herzensgesellschafter ersehen.
Diese kleine Geschichte erzählte sie mir in lässiger Stunde, und ich vergalt ihr mit einem gedrängten Einbekenntnis des eigenen Vorlebens. Übrigens fanden Wort und Geplauder jetzt und in Zukunft nur spärlich statt bei unserm Verkehre, denn sie beschränkten sich auf die sachlichsten Anweisungen und Verabredungen sowie auf kurze, anfeuernde Zurufe, welche dem Vokabular von Rozsa’s frühester Jugend, nämlich dem Ausdrucksbereich der Cirkusmanege entstammten. Wenn aber die Rede uns breiter strömte, so war es zu wechselseitigem Lobe und Preise, denn was wir bei erster Prüfung einander verheißen, fand reichste Bestätigung, und die Meisterin ihrerseits namentlich versicherte mir vielmals und ungefragt, daß meine Anstelligkeit und Liebestugend auch ihre schönsten Mutmaßungen überträfe.
Hier, ernsthafter Leser, bin ich in ähnlicher Lage wie schon einmal in diesen Blättern, wo ich von gewissen frühen und glücklichen Griffen in die Süßigkeiten des Lebens erzählte und die Warnung beifügte, eine Tat doch ja nicht mit ihrem Namen verwechseln und das Lebendig-Besondere durch das gemein machende Wort obenhin abfertigen zu wollen. Denn wenn ich aufzeichne, daß ich durch mehrere Monate, bis zu meinem Aufbruch von Frankfurt, mit Rozsa in enger Verbindung stand, oft bei ihr weilte, auch auf der Straße die Eroberungen, die sie mit ihren schiefen, schimmernden Augen, mit dem gleitenden Spiel ihrer Unterlippe machte, unterderhand beaufsichtigte, manchmal sogar verborgen zugegen war, wenn sie zahlende Kundschaft bei sich empfing (wobei sie mir wenig Grund zur Eifersucht gab), und mir eine mäßige Teilhaberschaft an dem Gewinne nicht mißfallen ließ, so könnte man wohl versucht sein, meine damalige Existenz mit einem anstößigen Namen zu belegen und sie kurzerhand mit der jener dunklen Galans zusammenzuwerfen, von denen oben die Rede war. Wer da glaubt, daß die Tat gleichmache, der möge sich immerhin eines so einfachen Verfahrens bedienen. Ich für mein Teil halte es mit der volkstümlichen Weisheit, daß, wenn zweie dasselbe tun, es mitnichten dasselbe ist; ja ich gehe weiter und meine, daß Etikettierungen wie etwa ›ein Trunkenbold‹, ›ein Spieler‹ oder auch ›ein Wüstling‹ den lebendigen Einzelfall nicht nur nicht zu decken und zu verschlingen, sondern ihn unter Umständen nicht einmal ernstlich zu berühren imstande sind.
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