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Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul

Titel: Bekenntnisse Des Hochstaplers Felix Krul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Glieder der Gesellschaft und verließ, von niemandem beachtet, sein Köfferchen in eigener Hand, die laute und übrigens wenig ansehnliche Halle. Draußen auf der schmutzigen Straße (es ging ein Sprühregen herab) hob wohl ein und der andere Fiaker-Lenker auffordernd die Peitsche gegen mich, da ich einen Koffer trug, und rief mir ein »Eh! Fahren wir, mon petit?« oder »mon vieux« oder dergleichen zu. Allein womit sollte ich die Fahrt bezahlen? Ich besaß fast kein Geld, und wenn jenes Kästchen eine Aufbesserung meiner pekuniären Verhältnisse bedeutete, so konnte sein Inhalt jedenfalls hier noch nicht zur Anwendung gelangen. Nebenbei wäre es kaum schicklich gewesen, an meiner zukünftigen Arbeitsstätte in einem Fiaker vorzufahren. Meine Absicht war, den Weg dorthin, der freilich weit sein mochte, zu Fuße zurückzulegen, und bei Vorübergehenden erkundigte ich mich sittsam nach der Richtung, die ich einzuschlagen hätte, um nach der Place Vendôme (ich nannte diskreterweise weder das Hotel noch auch nur die Rue Saint Honoré) zu gelangen, – mehrmals ohne daß die Leute auch nur ihren Schritt gehemmt und meiner Frage ihr Ohr geliehen hätten. Und doch bot ich keine bettelhafte Erscheinung, denn immerhin hatte meine gute Mutter einige Taler springen lassen, um mich für die Reise ein wenig instandzusetzen und auszustatten. Mein Schuhwerk war neu versohlt und geflickt worden, und mich kleidete eine wärmende Überjacke mit Mufftaschen, zu der ich eine artige Sportmütze trug, unter welcher mein blondes Haar sich blühend hervortat. Aber ein junges Blut, das keinen Gepäckträger in Arbeit setzt, sondern auf der Straße selbst seine Habe schleppt und keines Fiakers mächtig scheint, ist den Zöglingen unserer Zivilisation keines Blickes und Wortes wert, oder richtiger: eine gewisse Angst warnt sie davor, mit ihm im geringsten zu schaffen zu haben; denn er ist einer beunruhigenden Eigenschaft, nämlich der Armut, verdächtig, damit aber auch gleich wohl noch schlimmerer Dinge, und somit scheint es der Gesellschaft am weisesten, über ein solches Fehlprodukt ihrer Ordnung wie blind hinwegzusehen. »Armut«, heißt es wohl, »ist keine Schande«, aber es heißt nur so. Denn sie ist den Besitzenden höchst unheimlich, ein Makel halb und halb ein unbestimmter Vorwurf, im ganzen also sehr widerwärtig, und zu unangenehmen Weiterungen mag es führen, sich mit ihr einzulassen.
       Dieses Verhalten der Menschen zur Armut ist mir oft schmerzlich auffällig gewesen und war es auch hier. Schließlich hielt ich ein Mütterchen an, das, ich weiß nicht warum, einen alten, mit irgendwelchem Geschirr gefüllten Kinderwagen vor sich her schob; und sie war es, die mir nicht allein die Richtung wies, in der ich mich zu bewegen hatte, sondern mir auch die Stelle beschrieb, an der ich auf eine Omnibuslinie stoßen würde, die zu dem berühmten Platze führte. Die wenigen Sous, die dieser Transport mich kosten würde, hatte ich allenfalls flüssig, und darum war ich der Auskunft froh. Je länger übrigens die gute Alte, während sie sie mir erteilte, in mein Gesicht blickte, desto breiter verzog sich ihr zahnloser Mund zum freundlichsten Lächeln, und schließlich tätschelte sie mir mit ihrer harten Hand die Wange, indem sie sagte: »Dieu vous bénisse, mon enfant!« Diese Liebkosung beglückte mich mehr als so manche, die mir in der Folge von schönerer Hand zuteil wurde. –
       Paris macht auf den Wanderer, der von jener Ankunftsstation her seine Trottoirs beschreitet, zunächst keineswegs den entzückendsten Eindruck; aber freilich wachsen Pracht und Herrlichkeit, je mehr man sich der splendiden Weite seiner Herzgebiete nähert, und wenn nicht mit Schüchternheit, die ich männlich unterdrückte, so doch mit Staunen und der wohlgefälligsten Ehrerbietung blickte ich, mein Köfferchen auf den Knien, von dem engen Sitz, den ich im Omnibus erobert, hinaus in den flammenden Glanz dieser Avenuen und Plätze, auf das Getümmel ihrer Wagen, das Gedränge der Fußgänger, diese strahlend alles anbietenden Läden, einladenden Café-Restaurants, mit weißem Glüh- oder Bogenlampenlicht das Auge blendenden Teater-Fassaden, während der Conducteur Namen anmeldete, die ich so oft aus dem Munde meines armen Vaters in zärtlicher Betonung vernommen, wie ›Place de la Bourse‹, ›Rue du Quatre Septembre‹, ›Boulevard des Capucines‹, ›Place de l’Opéra‹ und andere mehr.
       Das Getöse, durchschrillt von den

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