Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Tage festgehalten, bevor er ins Camp Echo verlegt wurde.
Boy kam kurz vor Sonnenaufgang im Camp No an. Die Zellen dort sind auf Isolation ausgelegt. Die Einzelhaft soll den Willen der Gefangenen brechen. Anders als die Stahlkäfig-Blöcke in Camp America sind die Zellen im Camp No aus Beton. Die nächsten Tage verbrachte Boy in einer ein Meter zwanzig mal zwei Meter zehn großen Betonkiste ohne Tageslicht. Dort standen ihm zwei Eimer zur Verfügung, einer zum Pinkeln, einer für den Stuhlgang. Außerdem gab es einen Kaltwasserhahn, der aber manchmal abgestellt wurde, und eine dünne Matte auf dem Boden zum Schlafen. Die Wände waren bespritzt mit etwas, das nach Blut aussah. Für Boy muss es ausgesehen haben, als wäre der letzte Zelleninsasse zu Tode geprügelt worden.
Die ersten beiden Tage im Camp No verbrachte Boy in völliger Isolation und sah niemanden. Nachts wurde er von den Schreien anderer Gefangener wach gehalten. Mal hörte essich an, als würde jemand brutal gefoltert, ein anderes Mal, als würde eine Frau vergewaltigt und geprügelt. Das waren Simulationen, die die Gefangenen zermürben sollten. Coco berichtet, es handele sich hierbei um eine effektive Taktik des CIA-Verhörpersonals, bei der dem Insassen gesagt werde, er höre in der Nachbarzelle gerade seine Frau oder Tochter, obwohl es in Wirklichkeit eine CIA-Mitarbeiterin war, die alles vorspielte.
Am 13. November, dem dritten Tag seiner Isolation, wurde Boy von einem CIA-Vernehmer in Zivil besucht. Laut Coco handelt es sich meistens um weiße Männer Mitte vierzig bis Ende fünfzig. Sie tragen schwarze Schuhe mit weißen Socken. An diesem Tag wurde Boy schätzungsweise sieben Stunden lang pausenlos verhört. Dann durfte er sich eine Stunde ausruhen, bevor derselbe Vernehmer erholt wiederkam und von vorne begann. Das Verhör dauerte noch mal fünf bis sechs Stunden, dann durfte Boy schlafen. Doch ihn hielten abwechselnd Schreie und laute Musik aus den Nachbarzellen davon ab.
Derselbe Vernehmer besuchte Boy über die drei folgenden Tage immer unter ähnlichen Umständen. Eine lange Verhörsitzung ohne Pause und dann eine zweite bis tief in die Nacht. Am sechsten Tag von Boys Haft im Camp No sei der CIA-Mann »extrem aufgeregt« gewesen, berichtet Coco. Er wirkte nun nicht mehr so sicher und scharfsinnig wie an den ersten Verhörtagen. Irgendetwas schien ihm auf der Seele zu lasten, was Coco zufolge bei den CIA-Vernehmern im Camp No eher selten vorkommt.
Der CIA-Agent begann Boys letztes Verhör um 6.00 Uhr und verließ schon nach weniger als einer Stunde kopfschüttelnd die Zelle. Laut Coco wirkte er »verstört«. Dann ging er durch den dunklen Korridor zu einem anderen CIA-Agenten, der gerade eine Zigarettenpause machte. »Das ist doch zum Kotzen! Einen Scheiß weiß der«, sagte Boys Vernehmer.
Der Raucher zuckte mit den Schultern, und Boys Vernehmer fügte hinzu: »Raus hier mit dem Kerl, aber flott!«
Meinen Recherchen zufolge kam Boy also nicht am 11. November im Camp Echo an, sondern erst am 18., eine ganze Woche später.
Die Zellen im Camp Echo sind in zwei Räume unterteilt. Ein Schlafzimmer mit Bett und Toilette/Waschbecken-Kombination sowie ein Zimmer mit einem Stahltisch, zwei Stühlen und einem Haken im Boden. In diesem Raum sollte Boy schließlich seinen Anwalt treffen.
Boy hatte keinen Stift und kein Papier mehr wie im Camp Delta. Ihm war alles abgenommen worden, was er in seiner alten Zelle hatte, selbst der englischsprachige Koran, der einmal David Hicks gehört hatte. Boy hatte auch keine persönliche Wache mehr, mit der er sich hätte unterhalten können. Auch sonst war in diesem Zellenblock niemand zu hören. Nach mehreren qualvollen Tagen in extremer Isolation, ohne die Möglichkeit zu schreiben oder mit jemandem zu kommunizieren, versuchte Boy am 27. November, sich das Leben zu nehmen.
Aus seinem Handtuch und Stoffstreifen seines Unterhemds band er einen Strick und knotete ihn an einen der Stäbe, die seine beiden Zellenräume teilten. Den restlichen Stoff stopfte er sich in den Mund, um jedes Geräusch zu unterdrücken, das er möglicherweise im Todeskampf von sich geben könnte.
Als die Wachen, die alle zehn Minuten routinemäßig nach jedem Gefangenen sahen, Boy fanden, lebte er noch; er klammerte sich verzweifelt an den Strick und konnte sich mit den Zehenspitzen gerade eben an der Bettkante abstützen.
Die Wachen stürzten herein und schnitten den Strick durch.
Boy blieb nur zwei Tage lang zur Beobachtung auf
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