Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
ruhige, kehlige Stimme.
»Ich bin Boy. Ein Freund von Dasha. Und du musst Olya sein?«, rief ich.
»Sekunde mal, Baby.« Sie hustete, zuerst nur leicht, dann kräftiger. Ich blieb in der Küche stehen, wo mir der angenehme Geruch einer im Bett gerauchten Zigarette entgegenwehte.
Olya kam in einem roten Kimono heraus und steckte sich die blonden Strähnen mit Haarklemmen hoch.
»Und du bist ihr Kumpel aus Asien?«, fragte sie.
»Von den Philippinen.«
»Die vergess ich immer.«
Olya nahm eine Flasche San Pelegrino aus dem Kühlschrank und setzte sie an.
»Hat sie mich erwähnt?«, fragte ich.
Olya rülpste. »Tschuldige. Sie hat mal so was gesagt. Du bleibst ein paar Tage, ja?«
»Ungefähr eine Woche.«
»Hä? Eine Woche?«
»Brennt da irgendwas?«
»Dann müssen wir zusammen in einem Bett schlafen. Dasha und ich machen das auch immer so. Aber nicht dass du jetzt sonst was denkst. Wir sind keine Lesben.«
»Nein nein, das dachte ich gar nicht. Dasha hat bloß nie erzählt, dass sie eine Mitbewohnerin hat. Du kannst dir vorstellen, wie überrascht ich war, dich hier anzutreffen.«
»Typisch Dasha. Wir haben da so eine Abmachung. Immer wenn ich in der Stadt bin, wohn ich bei ihr.«
Später erfuhr ich, dass Olya für die Hälfte der Queensize-Matratze Miete an Dasha zahlte. Während der Fashion Week wurden die Apartments der Modelagenturen knapp, deshalb mussten viele Mädchen zu zweit wohnen. Glamour hat seinen Preis, wie Dior einmal sagte. 7
»Ich könnte schwören, ich rieche irgendwas Verbranntes.«
»Oh Scheiße«, sagte Olya. Sie rannte ins Schlafzimmer und nahm die Flasche San Pelegrino mit. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.« Ich stand in der Tür und sah zu, wie sie das Mineralwasser auf dem Bett verspritzte und damit das Flämmchen löschte, das sie mit ihrer Zigarette entzündet hatte.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
Sie kam aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. »Hab ich schon wieder Loch in Dashas Bettlaken gebrannt. Die bringt mich um.«
»Ist das Feuer aus?«
»Ja klar . Ich fasse es nicht. Ich bin so doof.«
»Sag nicht so was. Es ist doch bloß ein Bettlaken. Wir kaufen ein neues.«
»Scheiß auf sie.«
Olya stammte aus Polen und war mit zarten Fünfzehn in ihrer kleinen Heimatstadt Koszalin von einem deutschen Modelscout entdeckt worden, der sie mit nach Mailand, Tokio und Paris genommen hatte. Er zeigte ihr die Welt, und sie verliebte sich in ihn. Aber als sie dann in New York waren und Olya einen Vertrag mit Ford Models hatte, ließ er sie sitzen und ging zurück nach Berlin, um eine Karriere als Drum-and-Bass-DJ zu starten. »Ich treff ihn manchmal auf Partys«, sagte sie. »Er ist ein Arsch geworden, aber er hat mich aus Koszalin rausgeholt, also hab ich ihm wohl zu danken.«
Sie kannte alle wichtigen Stadtteile und half mir sehr dabei, mich zurechtzufinden. Sie zeichnete in meinen Reiseführer ein, wie man zu Ground Zero kam, von Saks zu Barneys und dann vom Bryant Park zum Times Square. Sie klärte mich über den monatlichen Metropass auf, über die Masche redegewandter Typen an den Drehkreuzen – »Zahl ihnen nie was dafür, dass sie dich durchlassen« – und darüber, wo die nächste U-Bahn-Station war. »Weit weg«, sagte Olya. »Wenn man einen Castingtermin hat, muss man mindestens eine Dreiviertelstunde früher hier los, um pünktlich irgendwo zu sein.«
Und so verbrachte ich den Rest meines ersten Tages damit, mich zu verlaufen, umzusteigen, Züge zu verpassen und mich zu verlieben. Das New Yorker U-Bahn-Netz ist ein Gummiband sexueller Spannung, gedehnt und um die Stadtteile geschlungen, und jeden Moment konnte es peng machen. Ich tollte durch diesen lüsternen Untergrund, in dem jede Bewegung etwas bedeutete – jedes übergeschlagene Bein, jeder Blick über ein Taschenbuch und jedes flüchtige Streifen mit der Schulter oder dem Po war ein Kuss, der mir zugehaucht wurde. Die chinesischen Porzellanschönheiten, die bei Canal ein- und ausstiegen, die Castings à gogo der rassigen osteuropäischen Models bei Prince Street und die drallen und fleißigen NYU-Studenten bei Eighth Street. Und, ach, die heißen Hipster an der Vierzehnten, kamen direkt aus der L wie eine Herde Vieh, die Augen in Lidschatten ertränkt und der Blick so cool, als hätten sie noch nie eine Party ausgelassen und würden es auch nie.
Meine erste Mahlzeit nahm ich auf der 42 nd Street ein, in einem Lokal namens Steak Chicken Pizza Grill. Das Schild blinkte wie eine Jahrmarktsbude
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