Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
und rief mir zu: Hier gibt’s amerikanisches Essen. Ich ging hinein, wohl wissend, wie schäbig der Laden war. Das Schild, die Speisekarte und dieBetreiber zeugten von einer Klasse Mensch, mit der ich nichts zu tun haben wollte. Aber ich muss sagen, es war das beste Essen meines Lebens. Die angekohlte Frikadelle, die dicken Tomatenscheiben, der knackige Eisbergsalat und die einzelne Pommes, die sich irgendwie mit unter das Brötchen gemogelt hatte, ergänzten sich gegenseitig aufs Köstlichste. Und das Stück original New Yorker Pizza, aufgewärmt von einem Mexikaner, vom Ofen aufs Tablett gebracht von einem Polen und abkassiert von einem Italiener – »Bitte schön, Boss« – rundete den Burger so gut ab, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt hätte. Ich aß mehr, als mein kleiner Körper verdauen konnte. Was für ein Gefühl! Als hätte ich mit Bleifrei vollgetankt und spürte das Benzin durch meine zierlichen Eingeweide pulsieren.
Die Stadt selber konnte grausam sein. Sie nahm jeden auf wie eine Waise, aber wenn man nicht seinen Teil leistete, kam man leicht unter die Räder. Das erfuhr ich, als ich nach jener höchst denkwürdigen Mahlzeit vor dem Steak Chicken Pizza Grill stand und die Faltkarte meines Reiseführers studierte. Ich musste auf der 42 nd Street nach Osten gehen, um zum Bryant Park zu kommen, wo die New York Fashion Week stattfand. Zweimal im Jahr schlug hier das Herz der Branche, und ich wollte einmal über die Anlage gegangen sein, um unter mir ihren Puls zu spüren. Als ich aufsah, um mich zu orientieren, bemerkte ich einen Mann ungefähr in meinem Alter, einen Südasiaten. Wir sahen uns erstaunlich ähnlich. Genau wie ich war er eins fünfundfünfzig groß, fast einen Fuß kleiner als der durchschnittliche New Yorker. Offenbar hatte er auch genau meinen Körperbau, auch wenn man das nicht so richtig sah, weil von seinen Schultern eine riesige Speisekarte herabhing, unter der nur Arme und Beine hervorschauten. Er war eine Werbetafel für den Sovereign Imbiss. Ich trat einen Schritt näher, um sein Gesicht besser zu sehen. Seinedicken Augenbrauen waren in der Mitte zu einem auffälligen Balken zusammengewachsen, wohingegen ich meine täglich zupfte. Er hatte denselben Bart wie ich, einen sauber gestutzten Hauch von einem Schnauzbart, der gewisse männliche Touch. Aber erst, als ich mir das ganze Papp-Menü von oben bis unten ansah – 2 Eier, Schinken, Würstchen oder Bacon $ 2.95 –, entdeckte ich das Verräterischste von allem, das Merkmal, das uns als Brüder auf dieser Welt verband.
Seine Hände.
Seine kleinen, flinken Hände.
Sie waren genau wie meine. Und in diesen Händen hielt er Menü-Flyer, Kopien der großen Tafel, die er trug wie eine Rüstung. »Nehmen Sie einen, nehmen Sie einen«, sagte er schnell. »Nehmen Sie einen.« Und dann, »Bitte.« Das war sein Job, vor dem Sovereign Imbiss zu stehen und Menü-Flyer zu verteilen. War er in der Hoffnung auf etwas Besseres hierhergekommen? Natürlich. Wahr geworden war für ihn die harte Realität, die Unbarmherzigkeit der Stadt, die er jeden Tag aufs Neue schultern musste, und er trug seine Last wie ein Zeichen.
PANCAKE SPECIAL $ 4.95.
Ich nahm ihm einen Flyer ab und warf ihn an der nächsten Ecke in den Müll, zusammen mit hundert anderen. Der Bryant Park hatte plötzlich seinen Reiz verloren. Stattdessen fuhr ich zurück zur Ludlow Street und hing mit Olya ab.
Sieh sie dir an in ihrer schlichten Trainingshose und dem weißen Tanktop – wie weit sie es gebracht hat. Die Schönheit und die Großzügigkeit dieser kleinen Polska sprudelten aus jeder ihrer unsichtbaren Poren! Sie gab mir die Hälfte von ihrem isländischen Joghurt ab und zeigte mir sämtliche Kabelsender. Wir unterhielten uns über Filme, Mode, Antrieb und Ehrgeiz. Sie versprach, mich in der kommenden Wochezu all ihren Castings mitzunehmen und mit anderen Models und Designern bekannt zu machen, um mir irgendeinen Job bei einer Modenschau zu beschaffen. Als wir dann ins Bett gingen, war ich hundemüde, aber schlafen war nicht: Olya wollte Englisch üben. Sie lernte für den TOEFL-Test, um sich am Baruch College in Manhattan einschreiben zu können. Sie las mir die ersten Seiten des Fänger im Roggen vor. Ich hatte das Buch in der Schule gelesen, aber als ich es von Olya hörte, mit ihrem polnischen Akzent und den Betonungen an den falschen Stellen, bekam es einen neuen Platz in meinem Herzen. »Wenn ihr das wirklich hören wollt, dann wollt
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