Bekenntnisse eines friedfertigen Terroristen (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
ihr wahrscheinlich als Erstes wissen, wo ich geboren bin und wie meine miese Kindheit war und was meine Eltern getan haben und so , bevor sie mich kriegten …«
Ich wollte mit ihr schlafen, aber ich bin kein wildes Tier. Ich respektierte die Grenzen unserer jungen Freundschaft. Ein Mädchen, das sein Bett mit einem Wildfremden teilte, verdiente es nicht, ausgenutzt zu werden. Außerdem hatte sie einen neuen Freund, Erik, von dem sie ununterbrochen redete.
Ich war nicht verblendet. In einer Stadt, die einen potenten jungen Mann darauf reduzieren konnte, sich als Menütafel auf die 42 nd Street zu stellen und »Nehmen Sie einen, bitte nehmen Sie einen« zu betteln, begriff ich, mit welcher Macht ich es zu tun hatte. Viel dringender als Geliebte und Feinde brauchte man hier Freunde. Diese Stadt war mörderisch. Diese Stadt, erst recht die exklusive Modebranche, war ein abgeriegeltes Netzwerk und ließ keine jungen Talente ein. Sie war nicht hart zu ihren Neuankömmlingen – sie war absolut schonungslos. Wenn Sie mir nicht glauben, sehen Sie vor dem Sovereign Imbiss nach, dort geht ganz sicher eine sprechende Speisekarte auf und ab – weiden Sie Ihre Augen! Unter dieser Tafel steckt ein Mensch, der so gut Englischspricht, dass er jeden anderen Job machen könnte, stünden ihm nicht zu viele Hindernisse im Weg – arme Menütafel. Sicher, die Bankentürme, die lasziv dahingestreckten Brücken, die Liebestunnel der U-Bahn und die Menschen in ihren Dachterrassenwohnungen am Central Park – sie waren der greifbare Beweis für das Unmögliche. In Manhattan wurde klar, dass nichts in Gottes Hand lag und alles in der des Menschen. In diesen Straßen konnten Träume wahr werden. Meist wurden Träume in dieser Stadt jedoch zerstört – in neunundneunzig Prozent aller Fälle.
Okay, ich erkannte ein Zeichen, wenn ich eins sah.
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NIEMANDSLAND
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Wie hat es mich hierher ins Niemandsland verschlagen? Mehr als zwei Wochen sind vergangen seit der Überwältigenden Heimsuchung am 30. Mai 2006. Richtig, noch vor zwei Wochen habe ich in meinem Studio in der Zahnstocherfabrik in Brooklyn an einer neuen Damen-Linie gearbeitet. (Es war tatsächlich einmal eine Zahnstocherfabrik.) Meine aktuelle Kollektion sollte in Kürze bei Barney’s hängen, neben Stücken von Philip Tang 2.0, Comme des Garçons und Vivienne Westwood. Gil Johannessen von Women’s Wear Daily hatte sie als »Bildungsroman« bezeichnet. Welch ein Kompliment! Endlich hatte ich es in den Bryant Park geschafft, nach sechs Saisons, in denen ich mich abgemüht hatte, um Journalisten und Käufer zu meinen Showcases zu locken. Ich war als Designer den Kinderschuhen entwachsen und bereit für die oberen Ligen. Und dann, schneller als man »sunnitischer Aufständischer« sagen kann, wurde mir all das genommen. Gangster, Folterknechte der Homeland Security, traten mitten in der Nacht die Tür ein, rissen mich aus meinem Künstlerschlaf und sagten mir überaus deutlich, ich solle die Hände hinter den Kopf nehmen und besser zu Allah beten, dass sich in diesem Loch hier nicht noch jemand anders versteckt hält, motherfucker .
Ich habe einen Anwalt gefordert. Sie halten mich immer weiter hin. Das können sie gut im Niemandsland, einen hinhalten. Ich hab es aus meiner Zelle gebrüllt, völlig außer mir;tagelang habe ich geflucht – »Ich will einen Anwalt!«. Aber es passiert nichts. In manchen Ländern wäre das illegal. Nicht hier im Niemandsland.
Meine Zelle ist ungefähr sechs mal acht Fuß groß. Ich habe sie Ferse an Zehen ausgemessen. Die Wände bestehen aus Stahlgeflecht, und eine daran befestigte Metallplatte ist mein Bett. Durch ein vergittertes Fenster fällt Tageslicht herein, aber außen ist eine Milchglasscheibe. Es gibt eine Toilette zum Hinhocken – eine arabische Toilette – und ein Waschbecken, das nicht weit über dem Boden hängt.
Man hat mir einige Komfortartikel gewährt. Eine ganz normale Decke, ein Handtuch, eine Gymnastikmatte aus Gummi (meine Matratze), eine zweieinhalb Zentimeter lange Zahnbürste, ein Reisetübchen Zahnpasta (Colgate), eine Rolle Toilettenpapier, eine Plastikflasche Wasser (Freedom Springs) und ein Paar Flip-Flops zum Duschen. Zur Religionsausübung bekomme ich eine Standardausgabe des Koran (in meinem Fall eine englische; sie gehörte einmal einem D. Hicks 8 , dessen Name in kindlicher Schrift auf der Innenseite des Umschlags steht), einen Gebetsteppich aus Schaumgummi, eine weiße Scheitelkappe und ein
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