Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bekentnisse eines möblierten Herren

Bekentnisse eines möblierten Herren

Titel: Bekentnisse eines möblierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
mit geschlossenen Augen den Kopf.
    »Zu müde!«
    Sie hob den Arm, deutete mehrere Male auf ihren Nacken und fuhr im Babytalk fort: »Massieren!«
    Lukas gab auf, streifte ungeachtet des kindischen Tonfalls seine Hausschuhe ab und begann im Nacken.
    Was ein Mann dabei alles denkt! dachte er etwas später und memorierte Schillers verzögerndes Gedicht von der »Glocke« still vor sich hin.
    »Warten Sie, ich rücke mehr nach rechts; die Couch quietscht so in der Mitte«, sagte Renate.

    Sie kehrte ihm den Rücken zu und schnarchte kindlichzart. Er kuschelte sich hinter ihr zurecht. Sie duftete nach einem Gemisch aus Jugend und billigem Eau de Cologne. Lukas kannte die Flasche; es war diejenige, die im heißen Krieg auf der Glasplatte seine Zahnpasta immer bedrängte. Die Vorstellung des Badezimmers brachte ihn auf andere Gedanken. Leise erhob er sich, um längst Fälliges nachzuholen.
    Als er zurückkam, war Renatchen wach. Der Wasserfall! Sie zog die Decke über den Kopf und wartete, bis er wieder neben ihr lag.
    »Jetzt denken Sie bestimmt schlecht von mir !«
    »Nun ja, du bist...«
    »Ach so, wir dürfen ja jetzt >du< sagen.«
    Pause.
    »Du warst sehr süß zu mir, du!«
    Lukas antwortete nicht. Mechanisch kraulte er ihren Kopf, um ungestört nachdenken zu können. Ein Verdacht stieg in ihm auf. »Sag mal, woher wußtest du eigentlich, daß die Couch in der Mitte quietscht?«
    Sie fing an zu zappeln.
    »Kraul mich ein bißchen!«
    »Woher wußtest du das?«
    »Fester!«
    Lukas packte sie bei den Schultern.
    »Du, ich hab’ dich was gefragt!«
    »Au, du tust mir weh!«
    »Dagegen hattest du vorhin auch nichts. Los, antworte! Hast du etwa mit meinem Vorgänger hier...?«
    »Du bist gemein, ein ganz gemeiner Kerl bist du!«
    »Das genügt!«
    »Also gut! Aber nur einmal, wenn du’s genau wissen willst! Und gar nicht richtig.«
    »Und vorher?«
    Sie zögerte. — »Auch nur einmal.«
    Obwohl Lukas dieses Geständnis als Entlastung empfand, forschte er weiter.
    »Wer war das?«
    Empört setzte sie sich auf.
    »Der Konrad... Du kennst ihn ja doch nicht.«
    Das war zumindest sachlich richtig. Lukas betrachtete sie lange.
    »Ist ja auch egal«, sagte er endlich und zog sie mit der einen Hand an sich, während die andere nach der Lampe tastete, um die Zimmerbeleuchtung dem Ernst der Situation anzupassen.
    »Nein, laß an!«
    Es gab noch einige Überraschungen in dieser Nacht. Stellte doch die erstaunliche Renate Lukas’ erstes Erlebnis in Mietabhängigkeit dar. Und noch, als draußen bereits der Morgen graute, umkreisten seine Gedanken in weiten Bögen die Psyche des Mädchens, bis ihre Nähe und Wärme erneut die Oberhand gewannen.

    Die erste Folge des Trainingsabends war ein Glas mit Honig, welches von nun an sein Frühstück bereicherte. Wie aus Pegelstand, Butterresten am Rand oder darinliegenden Brotkrümeln ersichtlich, handelte es sich hierbei um das gerade im Gebrauch befindliche Familienglas der Zierholts.
    Die zweite bestand in einem wachsenden Gefühl der Enge. Lukas kam sich vor wie in einem kleinen Land kurz vor der »Befreiung« durch den mächtigen Nachbarn. Mit allen Mitteln, die einem Freischaffenden zur Verfügung stehen, erwehrte er sich der wohlwollenden Umklammerung. Vor allem an den folgenden Samstagen (Trainingsabenden) schützte er Arbeitsüberlastung vor und verschwand, da keiner seiner Schritte über den Korridor unbeobachtet blieb, oft abends ostentativ mit Mappe. Das mochte übertrieben sein, doch seine angeborene Unbegabung für Lügen zwang ihn einfach dazu. Zierholts meinten es wirklich gut — das war ja das Grausame. Er konnte sie nicht kränken.
    Erschien er aber beispielsweise bei Peter und Ines mit seiner Mappe, führte dieser Umstand sofort zu neuen Komplikationen.
    »Du siehst überarbeitet aus«, befand man.
    »Nimm die Trennung nicht zu schwer!«
    Und jedesmal endeten derlei Freundschaftsbekundungen in wohlgemeintem Alkoholzwang.

    Hier Wohlwollen — dort Wohlwollen! Alle Welt glaubte plötzlich, sich seiner annehmen zu müssen. So war es kein Wunder, wenn er manchmal tatsächlich noch spät sein Atelier aufsuchte. Nur mit Arbeit ließ sich das Leben bemogeln, eine Erkenntnis, die er mit starkem Gerechtigkeitsgefühl für sich selbst durch verschärftes Ausschlafen kompensierte. Hier in der Zentrale des Lebenskampfes fühlte er sich am freiesten. Was war aus ihm geworden? Ein Fliehender! Auf der einen Seite der Freundes- und Bekanntenkreis und auf der andern Seite Nestwärme,

Weitere Kostenlose Bücher