Bekentnisse eines möblierten Herren
Honig und Renate.
Der beneidenswerte Schlaf ihrer Eltern — oder taten die nur so? — spielte ihrem unruhigen Blut alle Trümpfe in die Hand. Lukas mochte noch so leise nach Hause kommen, sie hörte ihn. Mit der Zeit bekam er Übung, entwickelte einen komplizierten Slalom über nicht knarrende Dielen, was jedoch die Möglichkeit nicht ganz ausschloß, daß er bei Betreten des Zimmers ein mit Jugendwärme beheiztes Bett vorfand. Waren solche nächtlichen Intermezzi auch nicht die Regel, so sagte er ihr doch oft unverblümt, sie möge ihn allein lassen, er liebe sie nicht, sei hundemüde — vergeblich. Genau das mochte sie anscheinend. Und selbst wenn er sich der asketischen Mühe unterzog, die Erinnerung an physische Harmonie abzuschalten, blieben doch die lokalen Verhältnisse für ordentliche Konsequenz einfach zu praktisch. Er lebte konzentriert, was ihm Wohltat. Doch eben weil es ihm wohltat, fand er keine Möglichkeit, den Zustand zu ändern.
Zu Muttis Geburtstag kamen Essbergers, ein älteres Ehepaar. Diesem Anlaß war Lukas’ Repertoire an Ausreden natürlich nicht gewachsen. Frisch und ordentlich saß er in seinem grauen Flanell am Tisch (heute Spitzendecke) und mußte die erste seiner Geschenkpralinen nehmen.
Anfängliches Fremdeln mit Essbergers löste sich alsbald zu gemeinsamen Lobeshymnen auf den in der Tat höchst delikaten Rehrücken. Frau Zierholt machte ihrem Ruf als Hotelierstochter alle Ehre.
Renate saß, artig zwar, doch harmoniebetont, zu seiner Seite. Ein Umstand, den »Tante Minna«, wie Frau Essberger genannt wurde, dazu benutzte, sich über Jugend im allgemeinen sowie über die anwesenden Bestandteile derselben im besonderen zu verbreiten.
»Wann haben wir die Renate jetzt zum letztenmal gesehen, Oskar?«
»Ha, vorm Vierteljahr auf der Tauf’ bei Seuferts!«
»Ja richtig, bei Seuferts! Also da kann man nur sagen: Aus Kindern werden Leute! So was! Jetzt bist du schon eine richtige junge Dame! — Wie die Zeit vergeht, was, Grete?«
»Ja gell, wir werden halt alle nicht jünger.«
»Und daneben der Herr Dornberg«, fuhr die Tante fort, »also wie im Film. Erst kürzlich hab’ ich einen gesehen, da waren auch so zwei! — Sie entschuldigen schon, wenn ich so was sage.«
Die Preiselbeeren machten eine Zustimmung auf dem Verbeugungswege erforderlich.
»Maaaaahlzeit!«
Renate deckte ab und verschwand in die Küche.
»Das wird mal eine gute Hausfrau«, lobte Tante Minna hinter ihr her, »so flink, wie das alles geht.«
»Ja, sie ist schon sehr artig, das müssen wir selbst sagen, gell, Karl-Heinz.«
Und Onkel Oskar fügte mit schöner Direktheit hinzu: »Wer die mal kriegt, der hat das große Los gezogen!« Lukas nahm einen Stumpen. Dann mußten alle mit anpacken. Der Gummibaum wurde beiseite geschoben und das Bild über dem Buffet, ein schräg in den Raum gekippter, echter Paul Strupp, abgehängt. Aus kurvenreicher Marzipanumrandung quoll da eine Winterlandschaft mit niedlichem Käthe-Kruse-Kirchlein. Der viele Schnee hatte eine täuschende Ähnlichkeit mit frisch gemachten Betten. Plumeau-Naturalismus, dachte Lukas. »Vorsicht, Oskar, der Globus!«
Tante Minna eilte zu Hilfe.
»Wenn man euch Männer auch nur eine Sekunde aus den Augen läßt, schon macht ihr Dummheiten! Ich stelle ihn da auf die Vitrine, da ist er sicher.«
»Nein, da kommt der Bildwerfer hin. Stell ihn auf die Diele! — Und ihr schiebt den Tisch ans Fenster.«
Lukas und Onkel Oskar rangierten ergeben. Der Hausherr zog die Übergardinen zu.
»Halt, Karl-Heinz! Es gibt doch erst Kaffee.«
»Wo? Ich sehe keinen Kaffee! Ich dachte, wir schauen zuerst die Bilder an und trinken hinterher gemütlich.«
»Also gut!«
Renate kam zurück. Der Kaffee war schon fertig. Lukas nahm ihr das schwere Tablett ab. Ganz offensichtlich handelte es sich um das Service »für gut«. Die Kanne war aus Silber, porzellangefüttert, und auch der Tropfenfänger in Gestalt eines Schmetterlings mit Filzrolle auf dem Buckel fehlte nicht.
»Jetzt ist er fertig und wird kalt!«
»Ich hab’ jetzt keine Zeit, ich muß die Verlängerungsschnur holen.«
»Und ich hab’ Geburtstag, und meinen Kaffee lass’ ich mir nicht nehmen! — Schenk ein, Renate!«
Lukas stellte das Tablett auf den Tisch; Renate trat neben ihn und murmelte, während sie einschenkte:«Du kannst ruhig ein freundlicheres Gesicht machen.«
»Ich dachte, hier wären wir per >Sie«
»Du hältst meine Eltern wohl für bescheuert? Also wenn Mutti nichts
Weitere Kostenlose Bücher